Auf dem Speiseplan der 9. Verhandlungsrunde über den UN-Treaty zu Wirtschaft und Menschenrechten: Reis mit Huhn in unterschiedlichen Varianten

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Die Verhandlungen nehmen an Fahrt auf, während die Frage nach dem Anwendungsbereich weiterhin spaltet
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UN-Treaty 2023
UN-Treaty 2023

Von Karolin Seitz

Vom 23. bis 27. Oktober 2023 sind im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN) rund 80 Staaten zusammengekommen, um über ein internationales Menschenrechtsabkommen zur Regulierung von Unternehmen und ihrer Wertschöpfungsketten (auch „UN-Treaty“ genannt) zu verhandeln. Nach einem schleppenden Start geht der Prozess am Ende überraschend gestärkt aus der 9. Verhandlungsrunde.

Als am 23. Oktober 2023 die rund 80 UN-Mitgliedstaaten zum ersten Verhandlungstag aufeinandertrafen, hatte der UN-Treaty-Prozess bereits ein holpriges Jahr hinter sich. Eigentlich hatten sich alle UN-Regionalgruppen zwischen der achten und neunten Verhandlungsrunde (Oktober 2022 bis Oktober 2023) in regionalen Konsultationen über den Abkommensentwurf beraten und Konsensvorschläge erarbeiten sollen. Bis auf die lateinamerikanische Gruppe hatte sich letztlich keine weitere Gruppe substantiell mit dem Abkommensentwurf auseinandergesetzt, sondern lediglich generell zum Prozess ausgetauscht. Die afrikanische Gruppe hatte sich überhaupt nicht getroffen.

Schleppender Start der Verhandlungswoche

Diese Tatsache war schließlich auch einer der Gründe, die dazu führten, dass es am ersten Tag zu einiger Verwirrung und langen Verhandlungen über das Arbeitsprogramm für die Woche kam. Die afrikanische Gruppe lehnte den vom ecuadorianischen Vorsitzenden der Arbeitsgruppe im Juli 2023 vorgelegten aktualisierten Abkommensentwurf von 2021 als Grundlage für die 9. Verhandlungsrunde ab, da sie sich in die Erstellung des Entwurfs nicht eingebunden fühlte und ihre Anliegen u.a. aus der achten Verhandlungsrunde 2022 nicht berücksichtigt sah. Ein von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Ghana organisiertes Treffen, an welchem auch mehrere afrikanische Staaten teilgenommen hatten, war von einigen Delegierten missverständlich als regionale Konsultation verstanden und die an den Vorsitzenden übermittelten Ergebnisse des Treffens, als offizieller Bericht aufgefasst worden. Nach langem Hin und Her ließ sich der Vorsitzende schließlich darauf ein, sowohl die bereinigte Fassung des aktualisierten Abkommensentwurfs, als auch die Version im Überarbeitungsmodus und mit den Kommentaren der Staaten von der achten Verhandlungsrunde an den Monitor im Verhandlungssaal zu werfen. So wurde ermöglicht, die Änderungen gegenüber der Vorgängerversion sowie die Kommentare der Staaten von 2022 nachzuvollziehen.

Staaten kommen in den Verhandlungsmodus

Erst zur Mittagszeit des zweiten Verhandlungstages konnte schließlich mit den Verhandlungen über die Inhalte des Abkommensentwurfs begonnen werden.

U.a. die mühsamen Verhandlungen am Anfang trugen dazu bei, dass letztlich nur die Präambel und die ersten drei Artikel des Abkommensentwurfs während der Woche besprochen werden konnten.

Das war aber nicht der einzige Grund. Ein anderer und positiverer Grund war, dass sich eine größere Anzahl an Delegierten mit substantiellen Beiträgen beteiligte – was Zeit benötigte. Anders als in vorherigen Verhandlungsrunden, brachten die Delegierten nicht vorgefertigte Stellungnahmen ein, sondern reagierten aufeinander, sprachen ihre Unterstützung oder Ablehnung gegenüber den Vorschlägen anderer Länder aus und untermauerten ihre Bedenken, Fragen und Formulierungsvorschläge mit konkreten Beispielen. Es handelte sich also nicht mehr nur um eine reine Diskussion der Artikel, sondern vielmehr um tatsächliche Verhandlungen über den Abkommenstext.

Die Delegierten befassten sich lange mit der Präambel. Dabei ging es u.a. darum, welche UN-Übereinkommen und Erklärungen explizit genannt werden sollten. Brasilien, Honduras und Malawi sprachen sich beispielsweise dafür aus, dass die UN-Erklärung über das Recht auf Entwicklung, über Menschenrechtsverteidiger*innen, und über die Rechte indigener Völker erwähnt werden. Bolivien, Südafrika, Malawi, Kolumbien und Ägypten forderten zudem die UN-Erklärung über die Rechte von Bäuer*innen zu nennen. Großbritannien, Chile, Panama, Honduras, Ecuador, Südafrika und Malawi forderten eine stärkere Hervorhebung von Arbeitsrechten im Text. Andere forderten eine stärkere Berücksichtigung von Kinderrechten und Menschen mit Behinderung sowie eine besondere Aufmerksamkeit in Konflikt-Gebieten. Während China, Ägypten, Malawi, Brasilien, Honduras, Kuba und Kolumbien die Umformulierung von „Unternehmenspflichten“ zu „Unternehmensverantwortung“ im vorliegenden Abkommensentwurf gegenüber der Vorgängerversion von 2021 wieder rückgängig machen wollten, sprachen sich Großbritannien, die USA, Panama und Peru dagegen und für eine Orientierung an der Sprache der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte aus. Diese sprechen von der Verantwortung von Unternehmen und der Pflicht von Staaten die Menschenrechte zu schützen.

Am dritten Verhandlungstag wurde Artikel 1 verhandelt, der verschiedene Definitionen vornimmt. So ging es um die Definition von „Opfern“, der Frage, ob von „Menschenrechtsverletzungen“ oder „Menschenrechtsverstößen“ im Wirtschaftskontext gesprochen werden sollte, wie diese dann zu definieren seien. Auch die Definitionen von menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht, Geschäftstätigkeit und –Beziehung, sowie Abhilfe wurden diskutiert.

Das beste Rezept für Rice and Chicken – Streit über den Anwendungsbereich

Am dritten und vierten Verhandlungstag befassten sich die Staaten schließlich auch mit den hochumstrittenen Artikeln 2 zu den Zielen des Abkommens und Artikel 3 über den Anwendungsbereich – oder wie die Delegierte aus Panama es ausdrückte: “The scope is the chicken of our rice with chicken. We have gone through the vegetables.“ Es ging zum einen um die Frage, ob das Abkommen alle Unternehmensaktivitäten oder nur transnationale Konzerne und Geschäftstätigkeiten mit transnationalem Charakter regulieren sollte. Kuba brachte an dieser Stelle eine Formulierung in die Runde ein, die von Chile und Bolivien unterstützt wurde. So sollten sowohl transnationale Unternehmensaktivitäten, als auch andere Geschäftstätigkeiten durch das Abkommen umfasst sein. Die südafrikanische Vertretung wollte sich diesem Vorschlag nicht anschließen. Sie stellte ein anderes Rezept vor – sie würden das Hühnchen grillen. Sie pochte vehement darauf, dass der Treaty nur transnationale Konzerne und Unternehmen mit transnationalem Charakter regulieren solle. Diese Forderung wurde von Russland, Ghana, Iran, Malawi, China, Algerien, Indonesien, Pakistan, Honduras und Kolumbien befürwortet. Mexiko, Panama, Chile, Peru und die USA hingegen forderten, dass das Abkommen alle Geschäftstätigkeiten, einschließlich jener von transnationalem Charakter regulieren solle.

Unter Artikel 3 ging es auch darum, welche Menschenrechte unter den Anwendungsbereich des Abkommens fallen sollten. U.a. Kuba, China, Ägypten und Iran wollten nur die international anerkannten Menschenrechte darin beinhaltet sehen, Mexiko und Kolumbien alle anerkannten und Panama und Peru alle Menschenrechte.

Insgesamt nahmen 76 UN-Mitgliedstaaten und Palästina, sowie die EU in Vertretung ihrer 27 Mitgliedstaaten an den Verhandlungen teil. Côte d’Ivoire sprach im Namen der Afrikanischen Union mit ihren 55 Mitgliedstaaten.

Neben den USA – die schon das zweite Jahr mitverhandelten, beteiligte sich erstmals auch Großbritannien an den Verhandlungen. Mit Eröffnungsstatements meldeten sich außerdem die weiteren Industriestaaten/-regionen Australien, Japan, Norwegen und die EU zu Wort. Mit besonders vielen Beiträgen brachten sich erneut vor allem Länder aus dem Globalen Süden, aber auch Großbritannien und die USA in die Verhandlungen mit ein.

Wie geht es weiter im Prozess? Überraschender Zug des Vorsitzenden

Als es am Nachmittag des vorletzten Tages um die Frage ging, wie der Prozess fortgeführt werden sollte, schlug der Vorsitzende dann zur Überraschung aller vor, dem UN-Menschenrechtsrat in seiner März-Sitzung 2024 eine neue Resolution zur Abstimmung vorzulegen. Die Resolution solle – so der Vorsitzende – dem Prozess mehr finanzielle Mittel verschaffen, sodass die Verhandlungen intensiviert werden könnten. Viele Staatenvertreter*innen waren zögerlich und äußerten die Befürchtung, dass im Rahmen der Abstimmung, auch die umstrittene Frage nach dem Anwendungsbereich zur Diskussion im UN-Menschenrechtsrat käme. Sich bis zur nächsten Abstimmung auf den Anwendungsbereich zu einigen, bezweifelten einige Delegierte. Angesichts der angespannten Situation, würden vermutlich auch andere geopolitische Interessen das Abstimmungsverhalten beeinflussen und überlagern. Während also einerseits die Chance bestünde, dass die Resolution dem Prozess neuen Aufwind und Ressourcen verschaffen könnte, bestünde anderseits die Gefahr, dass der Prozess vollkommen zu Fall gebracht würde.

Andere Möglichkeiten, den Prozess mit finanziellen Mitteln zu stärken, bestünden in freiwilligen staatlichen Beiträgen oder einer sogenannten „procedural decision“ (dt.: verfahrensbezogene Entscheidung) des UN-Menschenrechtsrats. Nach informellen zwischenstaatlichen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen am letzten Verhandlungstag, einigte man sich auch auf diese letzte Möglichkeit. Die Afrikanische Union, die lateinamerikanischen Staaten und die EU waren sich letztlich überraschend einig darin, keine neue Resolution zu wollen. Die Staaten einigten sich zudem auch darauf, dass der Vorsitzende weitere zwischenstaatliche und thematische Konsultationen bis zur nächsten (zehnten) Verhandlungsrunde im Oktober 2024 führen solle. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte soll die Verhandlungen verstärkt unterstützen und auch eine Gruppe von Rechtsexpert*innen hinzuziehen, die die zwischenstaatlichen Konsultationen beraten. Die bereits im Oktober 2022 geschaffene „Friends-of-the-Chair“-Gruppe, bestehend aus Aserbaidschan, Frankreich, Indonesien, Kamerun, Portugal und Uruguay, soll den Vorsitzenden in der weiteren Arbeitsweise beraten.

Einige Fragen bleiben offen

Unklar bleibt, welche Strategie der ecuadorianische Vorsitzende der Verhandlungen Cristian Espinosa Cañizares mit dem für alle überraschenden Vorschlag für eine neue Resolution verfolgte. Sicher ist, er hat damit die Staatenvertreter*innen aufgeschreckt und dazu gezwungen, klar Stellung für eine intensivierte Fortführung des Prozesses zu beziehen.

Offen bleibt ebenso, wie die „procedural decision“ nun eingeleitet, in welchem finanziellen Umfang und mit welchem Arbeitsprogramm sie ausgestaltet wird. Auch wird es spannend bleiben dahingehend, welche Ergebnisse die informellen thematischen Konsultationen hervorbringen, ob die Spaltung der Länder über den Anwendungsbereich des Abkommens überwunden wird und wie gut die Friends of the Chair-Gruppe und der Vorsitzende zusammenarbeiten werden. Transparenz und die Einbindung aller Regionen werden dabei zentral sein, um bei der nächsten Verhandlungsrunde im Herbst 2024 ähnliche Vorkommnisse mit der afrikanischen Regionalgruppe wie während der zurückliegenden 9. Runde zu vermeiden. Wesentlich ist die Einbindung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und ihrer Expertise, welche den Prozess in der Vergangenheit wesentlich vorangetrieben haben. Transparenz und Überprüfung von möglichen Interessenskonflikten wird auch bei der Auswahl der vorgesehenen den Prozess beratenden Rechtsexpert*innen wichtig sein.

Ungewiss bleibt schließlich, ob die Europäische Union sich nach der voraussichtlich Anfang 2024 verabschiedeten EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) für eine aktive Beteiligung an den Verhandlungen über den UN-Treaty durchringen wird. In Ermangelung eines Verhandlungsmandats waren die EU und ihre Mitgliedstaaten während der 9. Verhandlungsrunde nur beobachtend dabei und meldeten sich mit wenigen allgemein gehaltenen Stellungnahmen zu Wort. Eine Mehrheit der Mitgliedstaaten, darunter auch die Bundesregierung, fordert bereits seit längerem eine aktive Beteiligung der EU an den Verhandlungen. Dies scheiterte bislang aber am Widerstand des Europäischen Auswärtigen Dienstes, der auch auf wiederholte Nachfrage, bislang noch nicht einmal eine rechtliche Analyse des vorliegenden Abkommensentwurfs den EU-Mitgliedsstaaten vorgelegt hat. Ein baldiger Eintritt der EU in die UN-Treaty-Verhandlungen wäre in ihrem Interesse, nicht nur um gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen weltweit zu schaffen, sondern auch, um die neue Dynamik im Prozess und die Möglichkeit das Abkommen in ihrem Sinne mitzugestalten nicht zu verpassen.

 

Der offizielle Bericht über die 9. Verhandlungsrunde mit den Schlussfolgerungen für den weiteren Prozess ist hier zu finden.

Der verhandelte Abkommensentwurf mit den während der 9. Verhandlungsrunde von den Staaten vorgebrachten Forderungen für Änderungen ist hier zu finden.

Zum Prozess und den möglichen Inhalten eines EU-Verhandlungsmandats gibt es weitere Details in dem GPF-Briefing „Nach dem EU-Lieferkettengesetz ist vor dem UN-Treaty“.