Geschlechtergerechtigkeit: Der Entwurf für ein Lieferkettengesetz auf dem Prüfstand

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Anlässlich der Veröffentlichung des Regierungsentwurfs für ein Lieferkettengesetz veranstalteten das Global Policy Forum, Women Engage for a Common Future und die Rosa-Luxemburg-Stiftung am 15. März 2021 das Fachgespräch „Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten – Notwenige politische Schritte in Deutschland und international“. Gemeinsam mit den eingeladenen Bundestagsabgeordneten diskutierten die Teilnehmenden, welches Potential Gesetzesinitiativen für die Beseitigung von Diskriminierung in der Arbeitswelt und für die Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit weltweit haben und wie diese ausgestaltet sein müssen, um positive Veränderungen für Frauen und Mädchen in globalen Lieferketten zu erzielen. In ihrem einführenden Beitrag verdeutlichte Sara Phung, Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Institut für Menschenrechte, wie wichtig es ist, bei der Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht sensibel für geschlechtsspezifische Herausforderungen zu sein und was ein Sorgfaltspflichtengesetz leisten sollte, um wirklich effektiv zur Verbesserung der Situation der Rechteinhabenden in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten führen zu können.

 

Geschlechtergerechte Lieferketten und was dafür zu tun ist

Ein Beitrag von Sara Phung, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte

 

„Wirtschaft und Menschenrechte“ und Geschlechtergerechtigkeit

Menschenrechtliche Risiken in Liefer- und Wertschöpfungsketten haben eine starke geschlechtsspezifische Dimension, die häufig übersehen wird. Die negativen Auswirkungen von Wirtschaftsaktivitäten auf die Menschenrechte betreffen überproportional häufig und einschneidend Mädchen und Frauen. Die weltweit bestehende strukturelle Diskriminierung macht sie besonders verwundbar für wirtschaftliche Ausbeutung und Missbrauch. Zum Beispiel sind in der Textilbranche bis zu 85 Prozent der Arbeitnehmenden junge Frauen, die die am schlechtesten bezahlten Positionen, mit wenig Chance auf Weiterqualifizierung und Aufstieg besetzen.

Frauen sind überdurchschnittlich häufig prekär beschäftigt und haben kaum Zugang zu Sozialleistungen. Schwangerschaft und Mutterschaft bergen Risiken für Frauen, vor allem solche in Migrationssituationen: Für ihre Arbeitserlaubnis müssen Migrantinnen mancherorts negative Schwangerschaftstests vorlegen; bei Vorliegen einer Schwangerschaft, droht ihnen der Verlust von Arbeitsplatz und Aufenthaltsstatus. Kommen also mehrere Diskriminierungsmerkmale zusammen, wie ein unsicherer Aufenthaltsstatus, sind Frauen noch stärker verletzbar.

Gerade Sektoren mit einem hohen Frauenanteil, wie die Textil-, aber auch die Elektronik- und Nahrungsmittelindustrie, haben oft nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit: Pestizide in der Landwirtschaft, Staubpartikel in Fabrikhallen, unzureichende Arbeitssicherheit und ein mangelnder Zugang zu Sanitäranlagen sind nur einige Beispiele. Zusätzlich beeinträchtigen einige Produktionsbedingungen auch die psychische Gesundheit, etwa wenn Arbeitnehmende unrealistisch hohe Produktionsquoten erreichen müssen.

Frauen haben ein vielfach höheres Risiko als Männer, geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz zu erfahren: Einem FEMNET-Fact-Sheet (2018, S. 1-2) zum Textilsektor zufolge, leiden circa 35 Prozent aller Mädchen und Frauen über 15 Jahren (818 Mio. Frauen), unter physischer und/ oder sexueller Gewalt. Beschwerdemechanismen, an die sich Frauen vertrauensvoll wenden können, haben viele Produktionsstätten nicht; auch Gerichtswege sind dort, wo Frauen strukturell diskriminiert werden, nicht vielversprechend.

Die Covid-19-Pandemie und ihre Auswirkungen verschärfen die Situation: Viele Frauen haben ein höheres Risiko 1) sich zu infizieren, weil sie z.B. überproportional im Pflege- und Gesundheitswesen vertreten sind oder 2) ihren Arbeitsplatz und damit ihr Einkommen zu verlieren, weil ein Sektor, zum Beispiel Textil, von Unterbrechungen in der globalen Lieferkette besonders betroffen ist. So gilt die Lebensgrundlage von 4,1 Mio. Arbeitnehmenden in der Textilbranche als gefährdet, weil große Firmen ihre Aufträge stornieren – davon sind im Durchschnitt 60-80 Prozent Frauen. Nicht zuletzt hat sich die Doppelbelastung von bezahlter Arbeit und unbezahlter Sorgearbeit für viele Frauen in Pandemiezeiten verstärkt.

Die Pandemie hat deutlich zu Tage gebracht, dass die globalen Lieferketten insgesamt weder nachhaltig noch menschenrechtskonform sind und wie sehr dies weltweit zu Lasten von Frauen, vor allem denen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, geht. Staaten müssen daher mehr dafür tun, Frauenrechte im eigenen Land und entlang der Lieferketten zu schützen; Unternehmen mehr dafür, dass sie entlang ihrer Lieferkette keine Frauenrechtsverletzungen verursachen, zu ihnen beitragen oder mit ihnen in Verbindung stehen. Beides ist nur möglich, wenn die Verbesserung der Situation der Rechteinhabenden der Leitgedanke des politisch-rechtlichen Handelns wird.

Menschenrechtsinstrumente und viele Umsetzungsdefizite

Das internationale Menschenrechtsschutzsystem bietet eine Vielzahl von Instrumenten, die die oben beispielhaft beschriebenen nachteiligen menschenrechtlichen Auswirkungen von Unternehmensaktivitäten auf Frauen verhindern helfen sollen.

Die bekanntesten internationalen Menschenrechtspakte, der UN-Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) sowie der UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt), verankern ein allgemeines Diskriminierungsverbot (Art. 2 (2)); der Sozialpakt zusätzlich die Rechte in der Arbeit (Art. 6-9), das Recht auf Schutz von Familie, Müttern, Kindern und Jugendlichen (Art. 10), das Recht auf angemessenen Lebensstandard (Art. 11) sowie das auf körperliche und geistige Gesundheit (Art. 12). 

Darüber hinaus verpflichten sich die 189 Vertragsstaaten des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen (CEDAW), Geschlechtergerechtigkeit in allen Lebensbereichen zu verwirklichen. Weitere UN-Abkommen präzisieren Rechte bestimmter Gruppen, wie die Rechte von Kindern, Menschen mit Behinderungen sowie Wanderarbeitnehmer_innen und ihren Familienangehörigen.

Der fehlende Menschenrechtsschutz scheint also keineswegs eine Frage zu sein, die mit einem Mangel an international anerkannten Menschenrechten und ihrer Verankerung in völkerrechtlich bindenden Verträgen zusammenhängt, sondern mit der Frage ihrer effektiven Gewährleistung, Achtung und Durchsetzung. Der UN-Menschenrechtsschutz hat kein Sanktionssystem, das einer nationalen oder regionalen Gerichtsbarkeit gleichkommt. Er ist vorwiegend ein Monitoring-System, das Staaten Empfehlungen gibt. Einzelpersonen können zwar Beschwerde bei einigen UN-Gremien einlegen, aber weder die Empfehlungen noch die Entscheidungen dieser Gremien sind bindend für die Vertragsstaaten. Um Staaten bei der Auslegung der Rechtsumsetzung zu helfen, verfassen die UN-Ausschüsse zwar regelmäßig Allgemeine Bemerkungen zu spezifischen Artikeln ihrer Konvention/ ihres Paktes. Jedoch sind diese Allgemeinen Bemerkungen nur – wenn auch autoritative – Interpretationen der Ausschüsse und nicht rechtsbindend, was bedeutet, dass Staaten diese nicht in nationale Gesetze überführen müssen.

Mit Bezug auf transnationale Wirtschaftsaktivitäten gibt es seit 2011 die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN-Leitprinzipien), ein international anerkannter Standard, der zwar selbst nicht rechtsbindend ist, aber u.a. auf dem UN-Sozial- und Zivilpakt aufbaut und teilweise, insbesondere in Säule I, geltendes Völkerrecht zusammenfasst. Auch wenn die UN-Leitprinzipien an vielen Stellen das besondere Risiko der Vulnerabilität bestimmter Individuen oder Personengruppen erwähnen, finden die Herausforderungen für Frauen bisher nicht ausreichend Berücksichtigung. So lässt sich eine Tendenz der UN-Leitprinzipien feststellen, „Frauen“ – an den wenigen Stellen, an denen der Text Bezug auf sie nimmt – als eine homogene Gruppe zu betrachten. Daran ist v.a. problematisch, dass der intersektionale Charakter, der einer Diskriminierung zugrunde liegen kann, leicht übersehen wird. Es findet keine Differenzierung nach weiteren Diskriminierungsmerkmalen statt.

Auch die Nationalen Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien (NAP) weisen Defizite auf: Fast alle der NAPs erwähnen Frauen, manche auch Geschlechtergleichstellung, sehen aber wenige Maßnahmen vor, um die Rechte von Frauen zu stärken und wenn, dann scheinen diese nicht auf einer Analyse der spezifischen Risiken für Frauen in verschiedenen Wirtschaftssektoren zu beruhen.

Umso wichtiger ist es, dass die UN-Leitprinzipien ambitioniert in nationales Recht umgesetzt werden, und zwar unter Berücksichtigung der Geschlechterperspektive. Gesetzgeber sollten hier ihren Interpretationsspielraum nutzen, um im Sinne der Menschenrechte zu handeln und nicht hinter die Anforderungen der UN-Leitprinzipien und der ratifizierten Menschenrechtspakte zurückfallen. Denn die Wirksamkeit eines Sorgfaltspflichtengesetzes muss sich auch daran messen lassen, ob es die Risiken für und Menschenrechtsverletzungen an Frauen entlang der Lieferkette verhütet oder zumindest reduziert. Dies erfordert nicht zuletzt eine sinnvolle Konsultation von Frauenrechtsexpert_innen und -organisationen sowie betroffenen Frauen.

Was kann ein Sorgfaltspflichtengesetz leisten und wie müssten diese ausgestaltet sein?

Die effektive Umsetzung der UN-Leitprinzipien erfordert einen „smart mix“ aus freiwilligen und verbindlichen Maßnahmen, also zum Beispiel Gesetze und Nationale Aktionspläne, Brancheninitiativen uvm. Weltweit bleiben jedoch Umsetzungsdefizite bestehen: Nationale Aktionspläne enthalten zu wenige potentiell wirksame oder zu wenig „smarte“ Maßnahmen; verbindliche Regulierungen werden zwar vor allem im Globalen Norden angestrebt, führen aber potentiell zu einem regulativen Flickenteppich, den Unternehmen dann navigieren müssen. Und in keinem Nationalen Aktionsplan und keiner Gesetzgebung gibt es bislang eine konsequente geschlechtsspezifische Perspektive.

Aufgrund dieser Herausforderungen finden derzeit Konsultationen der UN-Working Group on Business and Human Rights7 statt, wie die Umsetzung der UN-Leitprinzipien in den kommenden zehn Jahren aussehen sollte („UNGP+10 next decade“).

Im März 2021 legte die deutsche Regierung den Entwurf für ein Sorgfaltspflichtengesetz vor. Er ist ein Einstieg in die Regulierung von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen in Deutschland, weist aber auch am zentralen Stellen noch Nachbesserungs- und Präzisionsbedarf auf.

Um die Situation von besonders schutzbedürftigen Personen und Gruppen zu verbessern, sollte das Sorgfaltspflichtengesetz mindestens und besonders die Risikoanalyse entlang der gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette und die wirksame Abhilfe von Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der Wiedergutmachung für Betroffene, stärker in den Fokus rücken. Präzisionsbedarf besteht also insbesondere bei der proaktiven vorausschauenden menschenrechtlichen Risiko- und Folgeabschätzung der weiteren Lieferkette, wo in der Regel die größeren menschenrechtlichen Risiken liegen. Hierbei ist es wichtig, den Austausch mit besonders vulnerablen Rechteinhabenden zu suchen sowie sichere und zugängliche Beschwerdemechanismen zu etablieren, die an lokale, soziale und kulturelle Gegebenheiten angepasst sind und die spezifischen Hindernisse von potenziell Betroffenen berücksichtigen. § 4 Abs. 4 sowie die Begründung zu § 5 sieht bereits die Einbeziehung von betroffenen Stakeholdern vor, sollte aber im Rahmen des § 5 im Gesetzestext selbst noch klarer gestellt werden. Auch die Überprüfung der Wirksamkeit von getroffenen Maßnahmen sollte insbesondere unter Einbeziehung der potenziell betroffenen Rechteinhabenden stattfinden.

Aus frauenrechtlicher Perspektive weist der Gesetzentwurf auch inhaltliche Ansatzpunkte auf, den Schutz von Frauen zu verbessern, wenngleich er durchgängig geschlechtsneutral konzipiert und formuliert ist. Auch wenn der Entwurf bedauerlicherweise nicht explizit die UN-Frauenrechtskonvention erwähnt, sind mit dem UN-Sozialpakt und dem ILO-Übereinkommen Nr. 100 und Nr. 111 Bezugspunkte aufgenommen, die die Gleichberechtigung von Frauen im Wirtschaftsleben betreffen. Der Gesetzentwurf benennt einige menschenrechtliche Risiken in der Lieferkette, die auch Frauen im besonderen Ausmaß betreffen. Dazu gehört beispielsweise das Verbot der „Nutzung privater oder öffentlicher Sicherheitskräfte zum Schutz des unternehmerischen Projekts“, wenn von diesen eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Gefahr für Leib und Leben droht – eine tägliche Realität für Frauen, die durch Sicherheitsdienstleister rund um Bergbauprojekte oder Palmölplantagen belästigt oder vergewaltigt werden. Daneben ein Verbot der Ungleichbehandlung in Beschäftigung, wobei dies insbesondere die Zahlung ungleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit umfasst – auch dies ein Risiko, das typischerweise zu Lasten von Mädchen und Frauen geht. Ebenso können die Bestimmungen zu Sicherheit am Arbeitsplatz und auf dem weiteren Betriebsgelände so gelesen werden, dass Risiken, wie sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz, die typischerweise Frauen betreffen, besser erfasst und vermieden werden können.

Ob und wie die deutsche Gesetzgebung einen Beitrag zur Verbesserung der Situation von Frauen entlang der Lieferkette leisten wird, hängt somit stark von einer geschlechterspezifischen Perspektive in der Umsetzung ab. Die Bestimmungen, die das Gesetz (so es denn im Bundestag verabschiedet wird) vorgibt, müssen systematisch mit einer geschlechtsspezifischen Brille gelesen werden. Dazu gehören auch die Anforderungen an eine unternehmerische Risikoanalyse sowie die Etablierung von Beschwerdemechanismen, die an die spezifischen Hindernisse von potenziell Betroffenen angepasst sind.

Zum Download des Beitrags mit vollständigen Quellenangaben (pdf, 458 KB)

 

Zum Download der Präsentationen der drei Referentinnen des Fachgesprächs:

Beitrag von Sara Phung (pdf, 560 KB), Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Institut für Menschenrechte

Beitrag von Isabell Kempf (pdf, 750 KB)Senior Research Coordinator und Leiterin des Bonner Büros des Forschungsinstituts der Vereinten Nationen für soziale Entwicklung (UNRISD)

Beitrag von Sascha Gabizón (pdf, 106 KB), Geschäftsführerin von Women Engage for a Common Future International und Mitglied der Civil Society Advisory Group des UN Generation Equality Forums

 

Zum Download der Zusammenfassung der wesentlichen Botschaften aus dem Fachgespräch (pdf, 294 KB).