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Von Celia Sudhoff
Vom 21. bis 25. Oktober 2024 wird sich unter dem Dach des UN-Menschenrechtsrates zum zehnten Mal eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe treffen, um über ein internationales Menschenrechtsabkommen zur Regulierung von Unternehmen und ihrer Wertschöpfungsketten (auch „UN-Treaty“ genannt) zu verhandeln. Doch bis es so weit ist, sollen noch einige Konsultationen stattfinden.
Am Ende der 9. Verhandlungsrunde im Oktober 2023 wurde beschlossen, dass der ecuadorianische Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Cristian Espinosa Cañizares, in der Phase zwischen der 9. und 10. Verhandlungsrunde thematische Konsultationen ermöglichen solle. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte soll die Verhandlungen verstärkt unterstützen. Außerdem soll eine Gruppe von fünf Rechtsexpert*innen zusammengestellt werden, welche die thematischen Konsultationen berät. Diesem Beschluss wird nun nachgekommen. Im März 2024 wurde ein Fahrplan mit insgesamt sechs Konsultationen vorgelegt. Am 12. April 2024 fand in Genf ein Vorgespräch statt, welche dem Austausch über die „proposed roadmap“ und den Auswahlprozess der „legal experts“ galt. Während des Treffens wurde betont, dass die vorgeschlagenen Termine alle vorläufig sind und mit Anpassungen zu rechnen ist.
Konsultation über die langfristige Methodik und das weitere Vorgehen im Prozess
Die Konsultation am 23. Mai diente dem Austausch über denkbare Methoden, welche es ermöglichen sollen, im laufenden Prozess effektiver voranzuschreiten. Außerdem gab es einen ersten Austausch über die zu priorisierenden Elemente. Der ecuadorianische Vorsitzende machte in seinem Eingangsstatement vier konkrete Vorschläge, welche den Prozess voranbringen sollen: 1. Die Anzahl formeller Verhandlungsrunden erhöhen, 2. Eine Serie an informellen thematischen Konsultationen zu einzelnen Themenkomplexen unter Einbindung der legal experts organisieren, 3. Aktivitäten mit der „Working Group on the UN Guiding Principles on Business and Human Rights“ und weiteren UN-Akteuren – insbesondere auf regionaler Ebene – besser verzahnen, 4. Ko-Fazilitationen ermöglichen, um die Einbindung von Staaten in den Verhandlungen zu erhöhen. Sein Statement im Ganzen ist hier zu finden.
Die Vorschläge wurden insgesamt eher positiv aufgenommen und das Engagement des Vorsitzenden breit gelobt. Unsicherheiten gibt es allerdings weiterhin in Bezug auf den Auswahlprozess und die Zusammensetzung der „legal experts“. Verschiedene Gruppen forderten hier volle Transparenz und maximale Unabhängigkeit der Personen. Cristian Espinosa versicherte, dass niemand von vornherein ausgeschlossen werde und die Auswahl nach höchstmöglichen Standards erfolgen solle. Er räumte aber auch ein, dass nicht alle Stakeholder mit den ausgewählten Personen vollständig zufrieden sein könnten. Während offiziell weiterhin die Rede von fünf Expert*innen ist, sprach Espinosa im virtuellen Teil am Nachmittag von einer nicht näher definierten Zahl, die weder zu groß noch zu klein sein dürfe. Ebenfalls kritisch hinterfragt wurde der dritte Vorschlag zur Einbindung weiterer UN-Akteure, mit Verweis auf das klar formulierte Mandat in der Resolution 26/9 des UN-Menschenrechtsrats und der klaren Führungsrolle von Staaten in den Verhandlungen.
Der Austausch war insgesamt produktiv und es gab eine breite Beteiligung von staatlichen Vertretern und Zivilgesellschaft. An einigen Stellen wurden dennoch immer wieder Differenzen deutlich. Insbesondere die Themenkomplexe „scope“, „jurisdiction“, „legal liability“ und „definitions“ wurden von vielen Akteuren als drängendste Diskussionspunkte identifiziert. Fragen nach dem Vorgehen während der 10. Verhandlungsrunde wurden mit Verweis auf die Konsultationen Anfang September nicht näher beantwortet.
Weitere geplante Konsultationen, finanzielle und inhaltliche Stärkung des Prozesses
Folgende weitere Konsultationen sind für die kommenden Monate angesetzt:
- 06. Juni: Konsultation über den Entwurf für die „procedural decision“, welche während der 56. Tagung des UN-Menschenrechtsrats eingebracht werden soll.
- 20. Juni: Informelle Konsultation während der 56. Tagung.
- 03. September: Konsultation über das Programm und die Methodik der 10. Verhandlungsrunde. Am 13. September soll ein überarbeitetes Programm veröffentlicht werden.
- 05. September: Thematische Konsultationen zu den priorisierten Elementen unter Mitarbeit der neu bestimmten Expert*innen.
Am 14. Oktober, wenige Tage vor Beginn der zehnten Verhandlungsrunde, ist geplant, die regionalen Gruppen über das Besprochene zu informieren. Da dieser Termin erst kurz vor dem Treffen in Genf stattfindet, ist nicht sichergestellt, dass sich alle regionalen Vertreter ausreichend im Prozess berücksichtigt sehen.
Bei der „procedural decision“ (dt.: verfahrensbezogene Entscheidung), welche vom UN-Menschenrechtsrat gefällt werden muss, geht es insbesondere um die Bereitstellung weiterer finanzieller und personeller Ressourcen im Prozess. Grundsätzlich standen bisher nur Ressourcen für eine Verhandlungsrunde im Umfang von fünf Tagen pro Jahr zur Verfügung - zu wenig, um inhaltliche Streitfragen ausreichend zu thematisieren. Bei der letzten Tagung des UN-Menschenrechtsrats wurde am 15. März zwar der Bericht zur 9. Runde vorgestellt und angenommen, allerdings konnte noch keine Entscheidung über zusätzliche Mittel getroffen werden. Der nächstmögliche Zeitpunkt, diese zu beantragen, ist daher die 56. Tagung des Rates. Da frühestens im Juni oder Juli Klarheit über die finanzielle Situation herrschen wird, befürchten einige Akteure, dass weitere wertvolle Zeit verloren geht. Eine positive Entscheidung im Rat könnte immerhin im kommenden Jahr mehr Konsultationen und Beratungen ermöglichen. Von ebenso hoher Bedeutung für den Erfolg des Prozesses ist jedoch auch eine aktivere Beteiligung der Länder des Globalen Nordens, insbesondere Deutschlands und der EU.
Entwicklungen seit Oktober 2023: Potenzial für ein EU-Verhandlungsmandat
In diesem Zusammenhang sind die aktuellsten Entwicklungen beim EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) als durchaus positiv zu bewerten. Trotz des Widerstands in der FDP und der darauffolgenden Enthaltung Deutschlands stimmte der Ausschuss der Ständigen Vertreter des Rats der Europäischen Union (COREPER) am 15. März endlich für das EU-Lieferkettengesetz. Am 24. April folgte die Zustimmung durch das Europäische Parlament. Der in letzter Minute ausgehandelte Kompromiss enthält zwar einige schmerzhafte Einschränkungen, dennoch ist das Gesetz auch ein wichtiger Schritt hin zu einem EU-Verhandlungsmandat für die Treaty-Verhandlungen in Genf.
Bereits im Januar 2024 hatten die Abgeordneten des EU-Parlaments mit großer Mehrheit für einen Bericht von Heidi Hautala zur Position der EU im UN-Treaty-Prozess gestimmt. In diesem bekennen sich die Abgeordneten zu einem erhöhten Engagement im UN-Prozess und fordern den Europäischen Rat auf, schnellstmöglich ein EU-Verhandlungsmandat zu erwirken.
Offen bleibt die Frage, wie schnell ein solches Mandat tatsächlich realisiert werden kann. Bislang gab es vor allem von Seiten des Europäischen Auswärtigen Dienstes Widerstand. Dieser dürfte mit der nun verabschiedeten CSDDD jedoch an Substanz verlieren. Ein zügiger Eintritt der EU in die UN-Verhandlungen würde nicht nur den internationalen Prozess stärken, sondern wäre ganz klar auch im Interesse der EU-Staaten. Ein rechtlich bindendes Instrument könnte weltweit für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen und die EU bekäme durch den Eintritt in die Verhandlungen die Möglichkeit, den UN-Vertrag in ihrem Sinne mitzugestalten.
Welchen Einfluss die Wahlen zum Europäischen Parlament, die vom 6.-9. Juni stattfinden, auf das weitere Vorgehen der EU im Treaty-Prozess haben, bleibt abzuwarten. Ein möglicher Zuwachs von anti-demokratischen Kräften im EU-Parlament hätte sicherlich auch für diesen Prozess negative Folgen.
Schwierige Position Ecuadors
Erschwert wird die Lage durch den politischen Rechtsruck Ecuadors. Ecuador war Hauptinitiator des Treaty-Prozesses und hat von Anfang an den Vorsitz der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe inne, die den Treaty aushandeln soll. Seit kurzem gibt es massive internationale Spannungen. Am 5. April stürmten Polizist*innen die mexikanische Botschaft in der Hauptstadt Quito, um einen ehemaligen Minister festzunehmen. Mexiko sieht darin eine Verletzung des Völkerrechts und hat daraufhin sämtliche Beziehungen zu Ecuador abgebrochen. Außerdem will Mexico beim Internationalen Gerichtshof Klage einreichen. Zahlreiche weitere lateinamerikanische Staaten äußern Kritik am Vorgehen Ecuadors, darunter Brasilien, Argentinien und das Nachbarland Kolumbien. Es ist noch nicht absehbar, ob der ecuadorianische Vorsitzende die weiteren Treaty-Verhandlungen trotz dieser Spannungen effektiv leiten kann.
Aktuelle Informationen zur 10. Verhandlungsrunde werden von der UN auf dieser Seite veröffentlicht.
Der aktuelle Textentwurf für einen rechtlich bindenden Vertrag ist hierzu finden. Die „clean version“ wird u.a. deshalb kritisiert, weil erneut viele wichtige Anmerkungen für eine bessere Lesbarkeit gestrichen wurden. Daher wurde hier außerdem eine „track changes version“ veröffentlicht.
Der offizielle Bericht über die 9. Verhandlungsrunde mit den Schlussfolgerungen für den weiteren Prozess ist hier zu finden.
Zum Prozess und den möglichen Inhalten eines EU-Verhandlungsmandats gibt es weitere Details in dem GPF-Briefing „Nach dem EU-Lieferkettengesetz ist vor dem UN-Treaty“.
Dieser Text wurde erstellt im Rahmen der Kooperation mit Brot für die Welt und Misereor im Projekt "Gegen-Lobby".