12.06.2020 | Südwind EU-Afrika-Blog

Folgen von Corona in Afrika

Die Coronakrise wird in Afrika zur Schuldenkrise

Von Bodo Ellmers

Während der afrikanische Kontinent bis dato (Mitte Juni) eine relativ geringe Anzahl an Covid-Fällen aufweist, wird er von den wirtschaftlichen Folgen umso härter getroffen. Auch in afrikanischen Staaten ist durch Lockdowns die Wirtschaftsleistung eingebrochen. Fast alle Säulen der externen Finanzierung sind durch die Coronakrise parallel weggebrochen. Damit wird es für immer mehr afrikanische Staaten auch schwierig, ihre Auslandschulden zu bedienen. Eine massive Welle von Schuldenkrisen droht.

Wachsende Schulden, teures Geld

Die neue Welle hatte sich bereits seit einigen Jahren angedeutet. Viele afrikanische Länder hatten von den Schulderlassinitiativen für hoch verschuldete arme Länder der 90er und 00er-Jahre profitiert. Doch bereits ab 2013 war eine Trendumkehr sichtbar, seither wuchsen die Schuldenberge wieder an. Der Finanzbedarf war hoch, schließlich wollten auch afrikanische Länder ihre Infrastruktur ausbauen, ihre Wirtschaft aufbauen und später die ambitionierte Agenda 2030 umsetzen.

Unterstützung in Form von Zuschüssen gab es dafür wenig: Reiche Länder sind weiterhin weit davon entfernt, das berühmte 0.7%-Ziel für die öffentliche Entwicklungshilfe zu erreichen. Kredite gab es dafür mehr als genug: Nicht nur neue staatliche Gläubiger wie China, auch Entwicklungsbanken und private Gläubiger drängten den afrikanischen Ländern neue Kredite förmlich auf. Für private Investoren galten Länder wie Ghana, Zambia oder Senegal als frontier markets. Wo es in Europa kaum noch Anlagemöglichkeiten gab und Zinssätze gegen Null oder gar ins Negative fielen, ließen sich hier mit Fremdwährungskrediten und Staatsanleihen noch Renditen von 10% und mehr machen.

Ein Boom der Kreditvergabe nach Afrika folgte, der die Schuldenstände allgemein in die Höhe trieb, und auch die Schuldenstruktur massiv veränderte. Hatten vor 10 Jahren Entwicklungsbanken wie Weltbank und KfW noch ein Quasi-Oligopol für die Kreditvergabe nach Afrika, begann dort plötzlich das Age of Choice: von China über Credit Suisse bis Blackrock war plötzlich jeder willens und bereit, Multimilliarden-Kreditpakete zu schnüren oder Staatsanleihen in großem Stil zu kaufen. Da der Zins stimmte, wurden Standards der verantwortlichen Kreditvergabe nicht immer eingehalten. Berühmt wurde der Fall Mosambik, wo die Banken Credit Suisse und VTB fern der demokratischen Kontrolle einen Milliardenkredit an vom Geheimdienst kontrollierte Firmen gaben. Ein Teil des Geldes verschwand völlig, der andere Teil wurde überwiegend für seeuntaugliche Patrouillenboote verschwendet. Das Geld ist weg, die Schulden vorerst noch da, der Fall beschäftigt mittlerweile Gerichte weltweit.

Das Kartenhaus wackelt

Das Kartenhaus fing bereits an zu wackeln als ab 2015 die Weltmarkpreise für viele Rohstoffe zu sinken begannen. Für ein rohstoffexportierendes Land, und das sind fast alle auf dem afrikanischen Kontinent, ist das Niveau der Schuldentragfähigkeit von Auslandsschulden ganz überwiegend abhängig von dem Weltmarktpreis für sein Hauptexportprodukt. Bei fallenden Preisen und Exporteinnahmen mussten sich mehr und mehr Länder, die sich zuvor hoch und teuer verschuldet hatten, an den IWF wenden und Notkredite beantragen. Dies ganz überwiegend zum Vorteil ihrer privaten Gläubiger, deren Ratenzahlungen durch die IWF-Gelder gesichert wurden, während die Bevölkerung der Länder unter den Austeritätsprogrammen litt, die mit IWF-Krediten weiterhin im Huckepack kommen. Rufe von NGOs, der IWF möge die privaten Gläubiger für ihre unverantwortliche Kreditvergabe zur Rechenschaft ziehen, und zur Teilabschreibung ihrer Kredite zwingen, blieben unbeantwortet. Dann kam Corona.

Für die externe Finanzierung afrikanischer Länder ist die Coronakrise ein regelrechter Sturm: Fast alle externen Quellen sind simultan eingebrochen. Exporteinnahmen brachen durch den Einbruch der Rohstoffpreise und den generellen Zusammenbruch des Welthandels weg. Der Rückgang der Heimatüberweisungen von Arbeitsmigranten wird von der Weltbank für 2020 auf Mindestens 20 Prozent geschätzt. Einnahmen aus dem Tourismus sind bis auf weiteres gleich Null. Und private Investoren, genau jene, die bis vor kurzem noch den Kreditboom ausgelöst hatten, machten sich auf in vermeintlich sichere Häfen. Mit fast 100 Milliarden US-Dollar alleine im März 2020 war die Kapitalflucht aus Entwicklungsländern insgesamt die höchste und schnellste, die je verzeichnet wurde. Nur die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) ist relativ stabil, da Budgets hier längerfristig festgelegt sind.

Die Gläubiger reagieren

Wo keine Devisen reinkommen, können natürlich auch keine Devisen ausgegeben werden. Gerade die Bedienung von Auslandsschulden ist in dieser Situation schwierig bis unmöglich. Teils unter politischem Druck, mehr noch vom Unabwendbaren getrieben, begannen die Gläubigerinstitutionen im April zu reagieren – leider mit einer Taktik, die bereits in der Eurokrise angewandt wurde und diese unnötigerweise auf ein ganzes Jahrzehnt gestreckt hat: kicking the can down the road. Statt Kredite abzuschreiben und damit die Solvenz der Schuldner nachhaltig wieder herzustellen, beschließen die G-20, zu denen neben den 19 größten Industrie- und Schwellenländern auch die EU gehört, für die Low Income Countries (LICSs) ein Schuldenmoratorium auf ihre bilateralen Kredite für den Rest des Jahres auszusprechen. Keinerlei Schulden wurden erlassen, die Länder müssen die in 2020 entgangenen Zahlungen in den Folgejahren nachzahlen. Nach grober Schätzung würden die 73 Länder weltweit, die davon profitieren könnten, damit dieses Jahr 14 Milliarden US-Dollar an Ratenzahlungen einsparen.

Das Angebot der G20 hat mehrere Haken:

Erstens erstreckt es sich nur auf bilaterale Kredite. Multilaterale Kredite sind davon ausgenommen, weil sich vor allem die Weltbank dagegen sträubt. Die teuren privaten Kredite sind auch ausgenommen, da ein Moratorium in Abwesenheit eines Staateninsolvenzregimes politisch nicht verfügt werden kann, und freiwillig beteiligen sich die Privaten bislang nicht. Der Umfang der Pakete ist ein great game zwischen China und dem Westen. Die bilateralen Kredite an Afrika sind ganz überwiegend chinesisch, die Weltbank ist US und EU-dominiert, auch die privaten Investoren sind wohl überwiegend aus dem Westen (genau weiß man es nicht – es gibt keine öffentlichen Register für private Anleihezeichner). Die verschiedenen Player versuchen sich also gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben. Fürs Erste hat der Westen sich durchgesetzt.

Zweitens kommt die Initiative mit der Kondition, keine neuen kommerziellen Kredite aufzunehmen. Das klingt zunächst logisch – warum sollte man alte Kredite stunden, wenn neue Schulden gemacht werden. Es hieße allerdings auch, dass beteiligte Länder in der Krise kaum kontrazyklische Fiskalpolitik machen können. Während also die Advanced Economies mittlerweile Schuldenfinanzierte Konjunkturpakete in Höhe von 9 Billionen(!) US-Dollar aufgelegt haben, um ihre eigene Wirtschaft und Bevölkerung durch die Krise zu bringen, sollen afrikanische Länder mitten in der Krise eine Austeritätspolitik der schwarzen Null fahren, nur um ihre Kreditraten erst 2 Jahre später zahlen zu müssen.

Drittens wurde die Rechnung ohne die privaten Rating-Agenturen gemacht. Diese haben mit Herabstufungen reagiert, wenn Länder das G20-Angebot annehmen, obwohl dieses nur die bilateralen öffentlichen Kredite umfasst. Damit würden Länder entweder völlig von den privaten Kapitalmärkten abgeschnitten, mindestens würden private Neukredite noch teurer, und dies möglicherweise weit über das Jahr 2020 hinaus.

Während also die G20 im April ihr Paket für 73 Länder als generösen Beitrag zu deren Unterstützung anboten, hat bislang nur ein geringer Teil dieser Länder das Angebot auch annehmen wollen. So wie die so genannte Debt Service Suspension Initiative derzeit gestrickt ist, haben beteiligte Länder wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren

Moratorien sind nicht genug

Afrikanische Akteure fordern daher einen Deal, der sich für Afrika lohnt, und der den Erfordernissen gerecht wird. Bei einem Sondergipfel der Vereinten Nationen zur Entwicklungsfinanzierung am 28. Mai 2020, bei dem auch Angela Merkel sprach, forderte der Sondergesandte der Afrikanischen Union (AU), echte Schuldenerlasse, also Streichungen der Schulden nicht nur ein Moratorium. Unterstützung kam auch vom UN Generalsekretär Antonio Guterres, der die Ausweitung von Schuldenerlassen auf bedürftige Länder mittleren Einkommens forderte – der G20 Deal geht auch an vielen überschuldeten afrikanischen Ländern vorbei. Guterres forderte auch, endlich Mechanismen zu schaffen, die die Einbindung privater Gläubiger ins Schuldenkrisenmanagement garantieren können. Unterstützung kommt von den Kirchen. Am 1. Juni forderten afrikanische Bischöfe „massive Schuldenerlasse“ als Teil des internationalen Pakets zur Reaktion auf die Coronakrise.

Die wird es auch brauchen, um Schuldenberge in Afrika abzubauen und zu verhindern, dass ein ganzer Kontinent über Jahre hinweg in der Schuldenfalle gefangen bleibt. Im schlimmsten Fall wird sich die Geschichte der 80er und 90er-Jahre wiederholen, als die Weltgemeinschaft zu lange gezögert hat, untragbare Schulden von Entwicklungsländern abzuschreiben. Während die UN noch im Frühjahr das Jahr 2020 zum Beginn der „Aktionsdekade für die SDGs“ erklärt hat, die uns im Endspurt zu den nachhaltigen Entwicklungszielen führen soll, droht für das hoch verschuldete Afrika wieder einmal eine verlorene Dekade, wenn das Schuldenproblem nicht fundamental angepackt wird.

Bodo Ellmers ist Leiter des Programmbereichs "Finanzierung nachhaltiger Entwicklung" beim Global Policy Forum (GPF).

Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht auf: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.