Von Bodo Ellmers und Luca Scheunpflug
Seit geraumer Zeit wird darüber diskutiert, zur Finanzierung nachhaltiger Entwicklung auch „innovative“ Finanzinstrumente heranzuführen. Eines der vielversprechendsten Instrumente ist die Finanztransaktionssteuer (FTS). In der Theorie schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie generiert einerseits Einnahmen, die für nachhaltige Entwicklung verwendet werden können. Andererseits hat sie auch eine Regulierungsfunktion. Sie verteuert Finanztransaktionen, und sollte damit kurzfristige und rein der Spekulation dienende Transaktionen, die Finanzkrisen auslösen können, zugunsten von langfristigen produktiven Investitionen unterbinden. Der jüngste Entwurf der Bundesregierung ist allerdings so reduziert worden, dass er wohl weder die eine noch die andere Funktion effektiv erfüllen wird. Das ist eine vertane Chance.
Der lange Marsch der Finanztransaktionssteuer
Bereits in den 90er-Jahren wurde intensiv darüber diskutiert, wie man die nötigen Finanzmittel auftreiben kann, um nachhaltige Entwicklung zu finanzieren. Unter den Protagonisten der Diskussion war auch die damalige Direktorin des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) Inge Kaul, die gemeinsam mit anderen argumentierte, dass man zur Finanzierung der global public goods die global public bads besteuern sollte. Also dass man die Mittel zur Finanzierung globaler öffentlicher Güter am besten dadurch auftreibt, dass man schädliche Aktivitäten besteuert und damit reduziert. Ein Ziel ist die Spekulation mit Devisen und anderen Finanzprodukten, die Finanzkrisen auslösen kann.
Die globale Finanzkrise von 2008/2009 und die daraus resultierende milliardenschwere Rettung der Banken brachte eine neue Dynamik in die Debatte. Die Rettung der Banken hat allein den deutschen Steuerzahler mehr als 70 Milliarden Euro gekostet. Beim Handel mit risikoreichen Finanzprodukten sollten Finanzspekulanten deshalb künftig Steuern zahlen, wie bereits im Jahr 2011 beschlossen wurde.
Nach neun Jahren Verhandlungen legte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zur Jahreswende seinen finalen Gesetzentwurf zur Finanztransaktionssteuer vor, den er auch seinen europäischen Kolleg*innen in zehn anderen europäischen Ländern vorgelegt hat. Damit soll zunächst eine Steuer auf Aktienkäufe eingeführt werden, es handelt sich also primär um eine Börsensteuer. Die Minister der Länder müssen dem Gesetzentwurf noch zustimmen, damit die Steuer ab 2021 in Kraft treten kann.
Mangelnde Reichweite der Scholz-FTS
Nach Gesetzentwurf sollen zukünftige Aktienkäufe großer Unternehmen mit 0,2 Prozent des Geschäftswertes besteuert werden. Die Steuer ist auf Aktien von Unternehmen beschränkt, die mehr als eine Milliarde Euro wert sind. In Deutschland trifft das aktuell auf 145 Unternehmen zu; insgesamt trifft es 500 Unternehmen der zehn europäischen Länder. Doch diese Ausgestaltung hat mit der ursprünglichen Intention nicht mehr viel gemein.
Kritiker bemängeln: Die geplante Ausgestaltung beschränkt entgegen der ursprünglichen Intention vor allem börsengehandelte Aktien und lässt hochspekulative Anlagen wie Derivate außen vor. Die ausgenommenen Derivate machen über 80 Prozent der Finanztransaktionen in Deutschland und der Eurozone aus. Eine isolierte Aktiensteuer ist aus ökonomischer und finanzieller Sicht jedoch wenig sinnvoll:
„Die geplanten Ausnahmen setzen unerwünschte Anreize zugunsten nichtregulierter Märkte und Finanzprodukte und diskriminieren gegen all jene, die auf klassische Börsenplätze setzen“ so Christoph Trebesch, Leiter des Research Centers Internationale Finanzmärkte und Global Governance am Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel) in einer Stellungnahme. Würde die FTS auch Derivate und den außerbörslichen Handel umfassen, würde dies konservativ geschätzt doppelt so hohe Einnahmen ermöglichen.
Der Finanzminister will sie jedoch an einer Steuer orientieren, die es in Frankreich schon gibt und ähnlich in Italien. Das ist eine reine Börsensteuer, die erstens nur auf Geschäfte mit Aktien erhoben wird und zweitens wiederum nur auf Aktien von inländischen Unternehmen, die sehr groß sind: über eine Milliarde Euro Marktkapital. Sowohl internationale als auch kleinere Firmen bleiben außen vor sowie der Großteil der Finanzgeschäfte, Derivate beispielsweise, die ja hauptsächlich zur Spekulation dienen.
Auch Devisentransaktionen werden nicht besteuert. Dies obwohl die FTS ihren Ursprung in der so genannten Tobin Tax hat. Der Ökonom James Tobin hatte bereits in den 70er-Jahren erkannt, dass der Devisenhandel sich immer mehr von seinem eigentlichen Zweck entfernt hat, den internationalen Handel mit echten Gütern und Dienstleistungen zu finanzieren. Stattdessen wurden Devisen zum Spekulationsobjekt, und diese Spekulation wirkte destabilisierend, konnte Finanzkrisen auslösen. Tobin schlug vor, die Spekulation durch die Einführung einer Devisentransaktionssteuer unrentabel zu machen, und damit zu unterbinden. Die Idee wurde seit den 90ern vom zivilgesellschaftlichen Attac-Netzwerk aufgegriffen und europaweit verbreitet.
Der kleinste gemeinsame Nenner?
Obwohl es einmal viele Fans einer FTS über alle Parteigrenzen hinweg gab, ist mit der vorliegenden Lösung niemand zufrieden. Gründe in der Ausgestaltung liegen darin, dass sie ein Kompromiss ist. So wollte der Finanzminister sinnvollerweise eine Lösung zusammen mit anderen europäischen Ländern. Aufgrund vorherrschender Skepsis wurde die Steuer dabei jedoch immer schmaler. Und selbst bei diesem abgemagerten Vorschlag ist nicht sicher, dass eine kleine Gruppe von Vorreiterländern in der EU ihn am Ende durchbringen wird.
Olaf Scholz ist weiterhin der Ansicht, dass seine Pläne realisierbar sind. Die zehn EU-Partner, die die Steuer im Rahmen einer sogenannten verstärkten Zusammenarbeit im Grundsatz einführen wollten, seien in ihren Gesprächen „so weit wie nie“, behauptete Scholz nach einem Treffen der EU-Finanzminister am 21.01.2020 in Brüssel. Der österreichische Ressortchef Gernot Blümel hatte zuvor mit dem Ausstieg seines Landes aus dem Vorhaben gedroht. Damit bekräftigte er frühere Äußerungen aus Wien.
Zudem gebe es laut Scholz weitere Länder, welche die Steuer einführen wollten. Diese wurden aber nicht weiter von ihm benannt. Weiterhin wies er Spekulationen, wonach Deutschland wie bereits Frankreich, Italien, Belgien und Finnland die Steuer im nationalen Alleingang einführen könnte, zurück. Er treibe zwar die Pläne für eine nationale Börsensteuer voran, aber das geschehe in der Erwartung, dass es eine gemeinsame Lösung im EU-Rahmen gebe. Scholz rechnet weiterhin mit 1,5 Milliarden Euro jährlich aus der geplanten Steuer auf Aktiengeschäfte und will mit den Einnahmen teilweise die Grundrente finanzieren.
Eine vertane Chance
Im Vergleich zu den ursprünglichen Intentionen der FTS, ist der Scholz-Vorschlag eine vertane Chance, selbst wenn die zehn europäischen Länder ihn alle annehmen werden. Als reine Börsensteuer nimmt er die schädlicheren Finanztransaktionen von der Besteuerung aus, spielt daher seine Regulierungsfunktion eher schlecht als recht. Die mangelnde Reichweite bedeutet auch, dass die Einnahmen mit 1,5 Milliarden Euro eher bescheiden sind. Das Europäische Parlament hatte bereits 1999 berechnet, dass ein bescheidener von 0.1% auf Devisentransaktionen weltweit jährlich 50 Milliarden US-Dollar einbringen würde, und das in Preisen von 1999. Letztlich, während die Finanzierung von Sozialausgaben in Deutschland eine notwendige und lobenswerte Angelegenheit ist, ist es schade, dass keine Mittel zur Finanzierung von Entwicklung in armen Ländern und der globalen öffentlichen Güter abgestellt werden sollen.
Positiv gesehen, kann man den Scholz-Vorschlag als ersten Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit ansehen. Finanztransaktionen – also Kapital - zu besteuern kann langfristig zu mehr Einnahmen für öffentliche Güter oder zu einer Reduzierung der Steuern auf Arbeit und Konsum führen, die zurzeit den Hauptanteil der Steuerlast in Deutschland tragen. Wichtig wäre, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzt, dass die FTS graduell auf mehr Transaktionen und auf mehr Länder ausgeweitet wird. Dann könnte sie bald einen substanziellen Beitrag zur Schließung der SDG-Finanzierungslücke leisten.