Die Bridgetown Initiative zur Reform der internationalen Finanzarchitektur  

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Auf dem Weg zu FfD4 - GPF Blogserie #1
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Blogserie FFD4
Blogserie FFD4

Von Bodo Ellmers

Im Sommer letzten Jahres überraschte Mia Mottley, die Premierministerin vom Barbados, die Öffentlichkeit mit der Vorstellung eines umfassenden Konzepts zur Entwicklungsfinanzierung. Kleine Inselstaaten sind gewöhnlich nicht dafür bekannt, Politikkonzepte von globaler Reichweite vorzulegen. Mia Mottley jedoch ist ambitioniert, couragiert, und hat gute Berater*innen. Die Bridgetown Initiative ist ein Dreistufenplan, der kurzfristig Liquidität zur Krisenreaktion und langfristig Finanzmittel für nachhaltige Entwicklung mobilisieren will. Ursprünglich vor dem UN-Klimagipfel in Sharm El Sheikh vorgestellt, war sie zur Überraschung vieler kein Strohfeuer, sondern wird jetzt sogar vom französischen Präsidenten Macron als Blueprint für seine Idee eines neuen Finanzpakts mit dem globalen Süden aufgegriffen.

In gewisser Hinsicht ist sie eine Reaktion auf den Reformstau, den die mehrfache Verschiebung der Vierten Internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD4) ausgelöst hat. Zum Teil füllt sie die eklatanten Lücken in der mittlerweile veralteten Addis Ababa Action Agenda von 2015, und könnte den neuen Weltgipfel befruchten, den die UN nun endlich in 2025 einberufen will.

Mehr und schnellere Liquidität liefern

Die Bridgetown Initiative steht im Kontext der multiplen Krisen. Als Mottley sie vorgestellt hat, war die Coronakrise noch nicht zu Ende, die Ukrainekrise mit ihrer Schockwirkung auf Nahrungs- und Energiepreise hatte gerade begonnen, und die Klimakrise machte sich zunehmend bemerkbar. Von Schocks betroffene Länder brauchen in der Regel kurzfristig große Mengen an finanzieller Liquidität, um den Ausfall von Einnahmen, massive Kapitalflucht, oder höhere Importpreise zu kompensieren. Barbados selbst war in der Coronakrise vom Totalzusammenbruch des Tourismus betroffen, der für die Karibikinsel der bedeutendste Devisenbringer war.  Die Energie- und Nahrungsmittelkrise hat viele Länder in Zahlungsbilanzkrisen oder an den Rand des Staatsbankrotts getrieben.

Die Bridgetown Initiative sieht vier Maßnahmen vor:

  1. Besserer Zugang zu den konditionsfreien Finanzierungsfazilitäten des Internationalen Währungsfonds (IWF)
  2. Vorübergehende Aussetzung der IWF-Zinszuschläge
  3. Umleitung von mindestens 100 Milliarden US-Dollar ungenutzter Sonderziehungsrechte (SZR) an diejenigen, die sie benötigen
  4. den Resilienz- und Nachhaltigkeitstrust bis Oktober 2022 in Betrieb nehmen.

Für die Politikmaßnahmen zur Liquidität steht also der IWF im Mittelpunkt, was auch seiner Rolle als zentrale Institution des finanziellen Sicherungsnetztes in der globalen Finanzarchitektur entspricht. Die ersten zwei Punkte betreffen traditionelle IWF-Instrumente. Die meisten IWF-Fazilitäten sind bei den Mitgliedstaaten äußerst unbeliebt, weil sie massive Politikkonditionen enthalten, damit Demokratie und Souveränität unterwandern und – wegen Fehlern im Konditionsdesign seitens des IWF – in vielen Fällen massive wirtschaftliche und soziale Schäden angerichtet haben.  Der IWF hat jedoch auch weitgehend konditionsfreie Fazilitäten wie das Rapid Financing Instrument und die Rapid Credit Facility. Ein erleichterter Zugang zu diesen Fazilitäten würde die Hemmschwelle senken, im Krisenfall auf die Mittel des IWF zuzugreifen.  

Ein Skandal, der in jüngerer Zeit vor allem von NGO-Kampagnen thematisiert wurde, ist die IWF-Praxis der Zinszuschläge (surcharges). Wenn Länder in Krisenzeiten größere Kreditsummen beim IWF leihen, als sie durch ihre Quote ohnehin berechtigt wären, werden ihnen dafür Strafzinsen aufgebrummt. Damit werden Krisenländern gerade dann hohe Zusatzkosten aufgebürdet, wenn sie sich in einer massiven Finanzkrise befinden, also jeden Cent dringend gebrauchen würden, um ihre notleidende Bevölkerung zu unterstützen. Auch IWF-Mitgliedstaaten wie Argentinien und Pakistan haben sich massiv gegen diese IWF-Praxis gewandt. Die Barbados-Initiative half dabei, Druck auf den IWF-Exekutivrat auszuüben, sich mit der Abschaffung der Strafzinsen zu befassen. Im Dezember 2022 war das Thema auf der Agenda – und scheiterte am Widerstand einiger weniger Länder, die gewichtigsten davon waren die USA und Deutschland.     

Der zweite und vielleicht sogar gewichtigere IWF-Skandal in jüngerer Zeit war die Ungleichverteilung von Sonderziehungsrechten (SZR). Im August 2021 hat der IWF SZR im Wert von 650 Milliarden US-Dollar an seine Mitgliedsstaaten ausgeschüttet, also frisches Geld geschaffen. Die Maßnahme war dazu gedacht, in Zeiten größter Finanznot jenen Ländern Liquidität zu verschaffen, die sie am Dringendsten benötigen. IWF-Chefin Georgieva nannte es „a shot in the arm“, um der Coronakrise zu entkommen. Doch die veralteten IWF-Statuten sehen vor, dass neue SZR nur anteilsmäßig nach Quote an die Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden dürfen. Da die IWF-Quote je höher ist, desto reicher ein Land ist, ging fast die Hälfte der Allokation an die G7-Staaten, währen die 46 am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) insgesamt nur 3% abbekamen.          

Seither ist die Debatte im Gange, wie die SZR durch Umleitung (rechanneling) doch noch an bedürftige Länder geraten können. Sowohl G7 als auch G20 haben sich dazu bekannt, zumindest einen Teil der SZR umzuleiten. Das ist das in der Bridgetown-Initiative genannte 100-Milliarden-Ziel. Bis dato, fast zwei Jahre später, erreichen noch nicht einmal die Zusagen der G20-Länder das Ziel, und der Betrag der tatsächlich umgeleiteten SZR geht gegen Null.

In Deutschland hat sich die „unabhängige“ Bundesbank den beträchtlichen deutschen Anteil im Wert von circa 30 Milliarden Euro angeeignet, und damit dem Zugriff der demokratisch legitimierten Institutionen der Republik entzogen. Der Wert der deutschen SZR, an dem die Bundesbank festhält wie Gollum an seinem Ring, ist größer als jener, den die 46 LDCs zusammen bekommen haben. Frankreich will, dass SZR-Umleitung zum zentralen Bestandteil eines neuen Finanzpakts mit Afrika wird, was die Bundesregierung etwas in die Bredouille bringen wird.           

Der derzeit zentrale Kanal zur Umleitung ist die neue Resilienz- und Nachhaltigkeitsfazilität (RSF) des IWF. Die neue Fazilität, die tatsächlich auf der IWF-Jahrestagung im Oktober 2022 in Betrieb genommen wurde, kann auch Kredite für Zwecke wie Klimamaßnahmen oder Pandemiebekämpfung ausgeben. Das ist nicht unumstritten, weil es eine Mandatserweiterung des IWF darstellt. Viele Parteien hätten lieber eine direkte Abgabe der SZR von reichen Nutznießern an die eigentliche Zielgruppe der bedürftigen Länder gesehen. Oder zumindest eine Umleitung durch die anderen zugelassenen Inhaber (subscribed holders) von SZR, zu denen alle großen multilateralen Entwicklungsbanken gehören.

Bei NGOs stößt Umleitung durch die RSF vor allem deshalb auf Kritik, weil damit der Charakter der SZR als eine Ressource, die keine Schulden schafft und nicht mit Politikkonditionen verbunden ist, wieder verloren geht. Angeblich verbiete jedoch das EU-Recht den EU-Mitgliedstaaten die Umleitung durch Kanäle außerhalb des IWF. Barbados hat als eines der ersten Länder Mittel aus der RSF beantragt

Günstige Kredite für nachhaltige Entwicklung

Die zweite Säule der Bridgetown-Initiative ist die Ausweitung der Entwicklungsfinanzierung an sich, jenseits der kurzfristigen Liquidität. Auch hier greift die Initiative bestehende Ideen und Politikprozesse auf. Im Mittelpunkt stehen die multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs) und insbesondere die Weltbank, die 1 Billionen US-Dollar an zusätzlichen Mittel aufbringen sollen. Bereits während der italienischen G20-Präsidentschaft war eine umfassende Analyse in Auftrag gegeben worden, wie die Kapazität der MDBs erhöht oder, besser gesagt, besser genutzt werden soll. Die Analyse kam zu dem Schluss, dass die MDBs ihre Vergabe steigern könnten.

Dazu gehören einfache Verhaltensänderungen wie mehr Risikobereitschaft seitens der MDBs, oder auch bessere Kommunikation seitens der Mitgliedstaaten, um die Bewertung durch Rating-Agenturen positiv zu beeinflussen und die Finanzierungskosten der MDBs zu senken. Aber auch die verstärkte Nutzung von Finanzinnovationen und des abrufbaren Kapitals (callable capital) bei den Mitgliedstaaten, um begrenzte Mittel besser in ausgeschüttete Kredite umzusetzen. Die Debatte um die Weltbank-Reform hat seit dem letzten Jahr massiv an Fahrt aufgenommen. Im Januar 2023 hat die Weltbank selbst eine Reform-Roadmap vorgelegt.

Die Steigerung der Entwicklungsfinanzierung durch MDB-Kredite ist sicherlich ein zweischneidiges Schwert. Einerseits sind die MDB-Kredite in der Regel günstiger als andere Finanzierungsquellen, die von privaten Investor*innen zur Verfügung gestellt werden. Staatsanleihen auf internationalen Finanzmärkten zu emittieren ist für Entwicklungsländer nur zu extrem hohen Zinssätzen möglich. Mit der Zinswende seit letztem Jahr haben sie sich nochmal deutlich verteuert. Andererseits sind viele Entwicklungsländer mittlerweile so hoch verschuldet, dass selbst zinsvergünstigte Kredite der MDBs in die Schuldenkrise führen könnten. Außerdem sind auch MDB-Kredite mit Politikkonditionen verbunden, und können nicht immer für die Zwecke eingesetzt werden, die die Kreditnehmer selbst für prioritär halten. Sie sind damit anderen Finanzierungsquellen, besonders den einheimischen Steuereinnahmen und Ersparnissen, in vielerlei Hinsicht unterlegen.

Neue Fonds zur Klimafinanzierung

Die dritte Säule der Barbados-Initiative machte schon im Vorlauf des Klimagipfels in Sharm el Sheikh Furore. Die Barbados-Initiative greift sowohl die Idee einer Loss and Damage Facility auf, deren Einrichtung tatsächlich auf dem Klimagipfel beschlossen wurde. Als bislang leere institutionelle Hülle, muss sie allerdings noch mit Finanzmitteln gefüllt werden. Für kleine Inselstaaten wie Barbados ist die Fazilität von besonderer Relevanz, weil sie durch ansteigenden Meeresspiegel und Naturkatastrophen wie Hurricanes besonders betroffen sind.  

Der zweite Vorschlag ist die Einrichtung eines neuen multilateralen Instruments zur Klimafinanzierung. Er steht im Kontext der langjährigen Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft, hinreichend Mittel für den globalen Süden zu mobilisieren. Das schon 2009 auf dem Klimagipfel in Kopenhagen beschlossene 100-Milliarden-Ziel ist bislang in keinem Jahr erreicht worden. Schlimmer noch, derzeit besteht Klimafinanzierung ganz überwiegend aus Krediten, ist damit zu einer der treibenden Kräfte der neuen Schuldenkrise im globalen Süden geworden.

Deshalb schlägt die Barbados-Initiative vor, dass Klimafinanzierung mittels SZR-Allokationen finanziert werden soll, also durch Geldschöpfung. Sie schlägt dafür eine erneute Alllokation in Höhe von 650 Milliarden US-Dollar vor, die eine neues multilaterales Instrument speisen soll. Auf dem Klimagipfel selbst hatte Mottley sogar jährliche SZR-Allokationen vorgeschlagen, um regelmäßig frisches Geld heranzuschaffen.

Der Vorschlag ist insofern genial, als er die politische Inkompetenz reicher Länder elegant umschifft, die von ihnen selbst seit Jahren zugesagten Mittel für Klimamaßnahmen in ärmeren Drittländern auch tatsächlich zu liefern. Die Einzahlung neu geschöpfter SZR in einen multilateralen Fonds würde zudem eine Möglichkeit bieten, SZR bedarfsgerecht einzusetzen, statt den reichsten Ländern die meisten Mittel zuzuschanzen. Eine solche Änderung des Allokationsmechanismus würde jedoch eine Änderung des IWF-Regelwerks zur Voraussetzung haben, stößt also auf einige politische Hürden, vermutlich inklusive beim IWF-Mitgliedstaat Deutschland, oder genauer bei seiner „unabhängigen“ Zentralbank, die die deutsche IWF-Politik derzeit noch maßgeblich bestimmt.

Die Bridgetown-Initiative ist ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zum FfD4-Weltgipfel. Sie ist ein Beleg dafür, wie bedeutend die Entwicklungsfinanzierungsagenda für Akteur*innen aus dem globalen Süden ist, und auch dafür, dass sie von Akteur*innen aus dem globalen Süden vorangetrieben werden wird, inklusive von den kleinen Inselstaaten. Die internationale Gemeinschaft muss adäquate Lösungen finden, um die internationale Finanzarchitektur an die Herausforderungen der multiplen Krisen anzupassen. Der anlaufende Vorbereitungsprozess zum FfD4-Weltgipfel, der dieses Jahr mit dem Financing for Development Forum und dem High-Level Dialogue on Financing for Development im Anschluss an den SDG-Gipfel seine ersten Meilensteine hat, bietet den nötigen Rahmen dafür.