Mit einem „Big Push“ in die zweite Halbzeit der Agenda 2030? Das SDG Konjunkturpaket der Vereinten Nationen

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SDG Konjunkturpaket - Münzen
SDG Konjunkturpaket - Münzen

Von Bodo Ellmers

Die Halbzeitbilanz der SDG-Umsetzung sieht ernüchternd aus. Wenn sich die Staats- und Regierungschef*innen am 18. und 19. September im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York zum SDG-Gipfel treffen, wird das zentrale Thema sein, wie man der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung für ihre zweite Halbzeit neuen Schub verleihen kann. Ein zentraler Vorschlag für die Neuausrichtung der SDG-Umsetzung ist das SDG-Konjunkturpaket. Es wurde im Februar 2023 vom UN-Generalsekretär vorgestellt und seitdem auf verschiedenen Politikforen beworben.

Das Hauptziel des Pakets ist es, die finanzielle Spaltung von Nord und Süd auf den Finanzmärkten zu überwinden, die als „Great Finance Divide“ bekannt geworden ist. Besonders während der Coronakrise war sichtbar geworden, dass Länder des globalen Nordens sich zu Niedrigzinsen und in beinahe unbegrenzten Mengen Kapital auf den globalen Finanzmärkten besorgen können. Das gibt ihren Regierungen die Möglichkeit, nötige Investitionen in öffentlichem Interesse – sei es für die Krisenabwehr oder die grüne Transformation - in nahezu unbegrenztem Umfang zu finanzieren, solange der politische Wille dazu gegeben ist.

Für Länder des globalen Südens besteht diese Möglichkeit nicht. Kapital auf Finanzmärkten aufzunehmen, ist für sie deutlich teurer. Die Zinsaufschläge, die sie gegenüber Regierungen des globalen Nordens zahlen müssen, betragen im Schnitt 5 bis 8 Prozent. Seit die Zentralbanken des Nordens in 2021 die Zinswende eingeleitet haben, hat sich die Lage noch drastisch verschlimmert. Als der UN-Generalsekretär im Februar 2023 den Vorschlag der Vereinten Nationen für ein SDG-Konjunkturpaket vorstellte, waren die Zinsaufschläge in 14 Ländern bereits auf über 10 Prozent gestiegen. Viele Länder waren bereits in die Schuldenkrise geraten und damit von jeglichem Zugang zu frischem Geld abgeschnitten, mit fatalen Folgen für die Finanzierung öffentlicher Dienste und das Wohlergehen ihrer Bevölkerung. An langfristige Investitionen, etwa zur Bekämpfung des Klimawandels, ist in diesem Kontext nicht zu denken.

500 Milliarden US-Dollar extra für die SDGs

Das SDG-Konjunkturpaket hat zum Ziel, jährlich 500 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Finanzmitteln zu mobilisieren. Damit sollen Länder ermächtigt werden, in Bereiche wie erneuerbare Energien, soziale Sicherung oder den Ausbau ihrer Bildungs- und Gesundheitssysteme zu investieren. Dieser Big Push soll überwiegend von öffentlichen Entwicklungsbanken kommen, die zinsgünstiger Kredite entsprechend ausbauen können. Diese Banken haben Zugang zu Kapitalmärkten zu ähnlich guten Konditionen wie die Regierungen des globalen Nordens, können dort also günstig Kapital aufnehmen, und es an die Länder des globalen Südens weiterleiten.

Das Paket enthält zudem die revolutionäre Forderung, Sonderziehungsrechte (SZR) zur Finanzierung eines neuen Klimafonds heranzuziehen. SZR sind eine internationale Reservewährung, die vom Internationalen Währungsfonds in nahezu unbegrenztem Umfang geschaffen werden kann. Damit würden die Instrumente des IWF – der de facto eine Art Weltzentralbank ist – in den Dienst der grünen Transformation gestellt, ähnlich wie die Länder des Nordens während der Coronakrise ihre Zentralbanken in den Dienst der Krisenreaktion gestellt haben. Dies mit dem Unterschied, dass der IWF allen Ländern dienen würde.        

Ein weiteres Element sollen zusätzliche Finanztransfers seitens der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) sein. Die reichen Länder sind aufgerufen, endlich das internationale Ziel zu erreichen, ODA im Umfang von 0,7 Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung zur Verfügung zu stellen. Dies würde eine Verdopplung vom derzeitigen Niveau bedeuten, und 200 Milliarden US-Dollar zusätzlich mobilisieren, überwiegend in der Form von Zuschüssen, die nicht zurückgezahlt werden müssen  

Schuldenkrise als zentrale Herausforderung

Bei den vielen hoch verschuldeten Ländern ist die Situation aber ohnehin so prekär, dass sie keine Neukredite mehr aufnehmen können, selbst wenn diese mit günstigen Zinsen angeboten werden. Im Gegenteil, ihr Problem ist, dass der Schuldendienst an die Gläubiger einen Gutteil ihres Staatshaushaltes auffrisst, weshalb für wichtige Ausgaben in öffentliche Güter und Entwicklung kein fiskalischer Spielraum mehr bleibt. Eine bedeutende Säule des SDG-Konjunkturpakets ist daher, über Schuldenumstrukturierungen und Schuldenstreichungen die Schuldenlast zu reduzieren.

Während zum Beispiel bei Unternehmensinsolvenzen ein verbindliches Insolvenzrecht gilt und klare Zuständigkeit bei Insolvenzgerichten liegen, sind vergleichbare Institutionen bei Staateninsolvenzen nicht existent. Der UN-Generalsekretär übt herbe Kritik am derzeitigen „Nicht-System“ des internationalen Schuldenkrisenmanagements. Er fordert die internationale Gemeinschaft auf, effektive Institutionen zu schaffen. Ländern, die in der Schuldenfalle stecken, soll damit geholfen werden, ihre Schuldenlast rechtzeitig und in hinreichendem Umfang zu reduzieren.  Darüber hinaus enthält das Paket auch Vorschläge, über Schuldenumwandlungen (swaps), gezielt Mittel zur Klimafinanzierung freizusetzen. Alle Gläubiger inklusive der Entwicklungsbanken werden aufgefordert, Ländern die von Schocks wie Klimakatastrophen oder Pandemien betroffen sind, eine temporäre Aussetzung ihres Schuldendienstes zu ermöglichen.

Lackmustest für den Multilateralismus

Besonders die in der Gruppe der 77 (G77) organisierten Länder des globalen Südens haben sich klar für die Umsetzung des SDG-Konjunkturpakets ausgesprochen und dafür gesorgt, dass es im Rahmen des SDG-Gipfels der Vereinten Nationen im September 2023 hoch auf der politischen Agenda steht. Für sie ist die schnelle Umsetzung des Pakets der Lackmustest dafür, dass die Länder des Nordens dafür bereit sind, solidarisch für die Finanzierung der SDGs und Maßnahmen gegen globale Herausforderungen wie den Klimawandel einzustehen.