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Von Bodo Ellmers
Die Jahrestagung 2023 der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Marrakesch hat viel Aufmerksamkeit erregt. Es war erst das zweite Mal, dass die beiden Bretton-Woods-Institutionen in Afrika tagten, dem Kontinent, der am meisten von ihren Krediten abhängig ist und vielleicht auch der Kontinent, der am meisten unter den politischen Konditionen und Strukturanpassungsprogrammen gelitten hat, die mit diesen Krediten einhergehen. Wichtigster Tagesordnungspunkt war die Verabschiedung der Evolution Roadmap, eines Maßnahmenpakets zur Reform der Weltbank.
Schwieriger Kontext durch gewaltsame Konflikte
Der anhaltende Krieg in der Ukraine und die Eskalation des Gaza-Konflikts nach dem Massaker der Hamas an mehreren hundert Zivilisten, das zeitgleich mit der Eröffnung der Jahrestagung stattfand, überschatteten die Ereignisse. Der erste Fall führte dazu, dass keines der beiden Entscheidungsgremien - der Entwicklungsausschuss (DC) und der Internationale Währungs- und Finanzausschuss (IMFC) - ein Ergebnisdokument im Konsens verabschieden konnte. Lediglich zwei Chair's Summaries des DC und des IMFC geben einen Überblick über die getroffenen Vereinbarungen. Beide beginnen mit Hinweisen auf gewaltsame Konflikte, was ungewöhnlich ist, da solche Themen jenseits des Mandats dieser Gremien stehen. Trotz der geopolitischen Spannungen gelang es den G20, ein ausgehandeltes Kommuniqué zu veröffentlichen, wenn auch ohne wesentliche Vereinbarungen. Die Gruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer, die Gruppe der 24, brachte ihre Ansichten und Bedenken ebenfalls in einem gemeinsamen Kommuniqué zum Ausdruck.
Reformvision der Weltbank angenommen
Das Hauptthema auf Seiten der Weltbank war der "Evolutionsprozess". Nach Angaben der Öffentlichkeitsarbeit der Weltbank soll dieser Prozess zunächst zu einer "besseren Bank" und schließlich zu einer "größeren Bank" führen. Er wurde sowohl in den offiziellen Verhandlungen als auch in vielen Plenardiskussionen und Nebenveranstaltungen thematisiert. Eingeleitet wurde der Prozess im Jahr 2020 durch eine G20-Initiative zur Überprüfung der Kapitalausstattung der Weltbank, die zu einer Reihe von Empfehlungen zur Stärkung der Kreditvergabekapazität der Bank führte. Im Jahr 2022 folgte eine G7-Initiative zur Erweiterung des Mandats der Weltbank und ihrer Umwandlung von einer Entwicklungsbank in eine Transformationsbank.
Die Mitarbeiter der Weltbank haben den Gouverneuren am 28. September, nur eine Woche vor Beginn der Jahrestagung, einen detaillierten Vorschlag in einem Bericht vorgelegt. Damit blieb den Kreditnehmerländern und den Organisationen der Zivilgesellschaft wenig Zeit zum Nachdenken. Der Bericht mit dem Titel "Ending Poverty on a Livable Planet" schlägt vor, die Bewältigung globaler Herausforderungen als drittes Ziel zu den bestehenden beiden Zielen der Armutsbekämpfung und der Verringerung der Ungleichheit hinzuzufügen.
Erhebliche Lücken bleiben
Doch kaum einer der Reformvorschläge, die kleinere Anteilseigner aus dem globalen Süden und Organisationen der Zivilgesellschaft im Laufe der Jahre gemacht haben, findet sich in dem Bericht wieder. So gibt es beispielsweise keine Verpflichtung, Governance-Reformen zu verfolgen, die das Stimmrecht und die Mitsprache des globalen Südens stärken und eine Auswahl des Weltbankpräsidenten nach Kompetenz, anstelle des derzeitigen, auf dem Pass basierenden Ansatzes ermöglichen würden (de facto ernennt die US-Regierung den Präsidenten aus den Reihen der US-Bürger).
Es gibt auch keine Verpflichtung zur Beendigung der Finanzierung fossiler Brennstoffe, einer langjährigen Forderung zivilgesellschaftlicher Umweltorganisationen. Damit steht die Glaubwürdigkeit des neuen Ziels der Weltbank, einen lebenswerten Planeten zu schaffen, von Anfang an auf dem Spiel.
Darüber hinaus könnten die im Fahrplan vorgeschlagenen operativen Reformen die Konzentration der Weltbank auf privatwirtschaftliche Lösungen sogar noch verstärken. Der „Private-finance-first“-Ansatz der Weltbank hat nach Ansicht von Kritiker:innen zu einer Kommerzialisierung des Gesundheits- und Bildungssektors in den Kreditnehmerländern geführt, mit verheerenden Folgen für die Armen, die sich die Zahlung von Nutzungsgebühren nicht leisten können. Es besteht ein hohes Risiko, dass die Mandatserweiterung diesen gescheiterten Ansatz der Weltbank auf neue Sektoren wie Klima und Biodiversität ausweitet.
Die Frage der "größeren Bank" bleibt ungelöst. Zwar hat die Weltbank bereits einige technische Maßnahmen zur Erhöhung der Kreditvergabe um jährlich 5 Mrd. Euro, d.h. weniger als 5 % des derzeitigen Volumens, beschlossen, doch wurde dem in Marrakesch nichts wirklich Neues hinzugefügt. Deutschland erneuerte seine bereits auf den G20- und UN-Foren gemachte Zusage, als erstes Land in die neuen hybriden Kapitalinstrumente der Weltbank zu investieren, mit einem Finanzbeitrag von 305 Mio. Euro.
Während Deutschland diese Mittel durch eine neue Regel mit dem Spitznamen "preferencing" zweckgebunden einsetzen möchte, lehnt die G24 die Einführung solcher Praktiken entschieden ab. Der Präsident der Weltbank, Ajay Banga, wies in Marrakesch darauf hin, dass die Mitgliedstaaten Sonderziehungsrechte für finanzielle Beiträge zu dem hybriden Kapitalinstrument nutzen können. Angesichts stagnierender oder schrumpfender Entwicklungsbudgets in vielen Geberländern werden höhere Beiträge an die Weltbank ansonsten nur schwer oder nur auf Kosten der multi- oder bilateralen Entwicklungszusammenarbeit durch andere Kanäle möglich sein.
Kredite-versus-Schulden-Dilemma
Immer mitgeschwungen hat das derzeit größte Dilemma der Entwicklungsfinanzierung. Nämlich dass das Hauptinstrument der Bretton-Woods-Institutionen zur Lösung von Problemen Kredite sind. Gleichzeitig ist jedoch die Verschuldung in vielen Ländern des globalen Südens in den letzten zehn Jahren massiv angestiegen. Viele Länder befinden sich in einer Schuldenkrise und sind nicht mehr in der Lage, weitere Kredite aufzunehmen. Steigende Zinssätze haben die Kosten für den Schuldendienst in die Höhe schnellen lassen. Einem unabhängigen Bericht zufolge, der auf der Jahrestagung vorgestellt wurde, müssen die afrikanischen Länder inzwischen 53 % ihrer öffentlichen Einnahmen in Form von Schuldendienst an ihre Gläubiger abführen. Der fiskalische Spielraum für Entwicklungsausgaben und die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen schrumpft entsprechend. In den Entwicklungsländern insgesamt beträgt der Schuldendienst dem Bericht zufolge das 3,7-fache der Gesundheitsausgaben.
Schulden bei multilateralen Gläubigern werden zunehmend zum Problem, wie eine weitere unabhängige Studie zeigt, die auf der Jahrestagung vorgestellt wurde. In 27 Ländern muss bereits mehr als die Hälfte des Auslandsschuldendienstes an multilaterale Gläubiger abgeführt werden. Die Autor:innen betonen, dass ein substanzieller Schuldenerlass, auch durch die Weltbank, erforderlich ist, um ausreichenden finanzpolitischen Spielraum für eine nachhaltige Entwicklung zu schaffen.
Vor diesem Hintergrund besteht der vielleicht schwerwiegendste Mangel des angenommenen Weltbank-Reformplans darin, dass er nicht die Möglichkeit vorsieht, dass die Weltbank Ländern, in denen ein Schuldenerlass unvermeidlich geworden ist, auch an diesen Schuldenerlassen beteiligt. Wie die Mängel der Schuldenarchitektur überwunden werden können, wurde auf einer vom Global Policy Forum und internationalen CSO-Partnern organisierten Nebenveranstaltung diskutiert. Die Schaffung eines wirksamen Insolvenzrahmens unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen wurde als Alternative zum dysfunktionalen „Common Framework for Debt Treatment beyond the DSSI der G20“ vorgestellt.
Pattsituation beim IWF
Auf Seiten des IWF sind keine Fortschritte zu verzeichnen. Das Hauptproblem ist nach wie vor die Unterrepräsentation der Länder des globalen Südens. Da außerdem viele bilaterale Kreditvereinbarungen des IWF auslaufen, sollten die Mitgliedstaaten mehr Quotenbasierte Finanzmittel beisteuern, um die Kreditvergabekapazität des IWF zu erhalten. Vorerst wurde die Entscheidung zur Quotenreform auf Dezember 2023 verschoben.
Der IWF berief seinen Global Sovereign Roundtable - ein Multistakeholder-Dialogforum, das Schuldenumstrukturierungen vorantreiben soll - ein weiteres Mal auf dieser Jahrestagung ein. Unabhängig davon kündigte Sambia in Marrakesch endlich eine Umschuldungsvereinbarung an, nachdem es aufgrund des Fehlens eines wirksamen Mechanismus zur Schuldenregulierung mehr als drei Jahre Verzögerung gegeben hatte. Auf den Fluren herrschte Einigkeit darüber, dass die derzeitige Schuldenarchitektur völlig dysfunktional ist.
Das einzige positive Ergebnis auf Seiten des IWF ist vielleicht, dass eine vage Vereinbarung zur Diskussion der teuren IWF-Zuschläge (Surcharges) getroffen wurde. Aufgrund von Aufschlägen müssen kreditnehmende Mitgliedsstaaten Zinsen von über 8 % oder mehr auf Krisenkredite zahlen, was bedeutet, dass sie die Schuldenfalle, in der sie gefangen sind, nicht verlassen können und die Hilfe des IWF oft mehr Last als Nutzen ist. Es wurde jedoch kein Zeitplan für eine Einigung über die Zinszuschläge festgelegt.
Mangel an Dringlichkeit
Der Mangel an Dringlichkeit war ein durchgängiges Problem bei dieser Jahrestagung. Als die Staats- und Regierungschefs im September zum UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung zusammenkamen, wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die nicht funktionierende internationale Finanzarchitektur (IFA) einer der Hauptgründe für das Scheitern der Umsetzung der SDGs in fast allen Bereichen ist.
Diese Jahrestagung hat jedoch nicht die notwendigen und zunehmend auch politisch gewollten Reformen gebracht. Sie hat bewiesen, dass die zentralen Institutionen der internationalen Finanzarchitektur nur begrenzt in der Lage und willens sind, sich selbst durch ihre eigenen Governance-Gremien zu reformieren. Besonders für Länder des globalen Südens bleibt es schwierig, den Reformpfad mitzugestalten. Der bevorstehende UN-Zukunftsgipfel im Jahr 2024 und die Vierte Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung im Jahr 2025 bietet den Staats- und Regierungschef:innen die Möglichkeit, wirksamere Reformen der internationalen Finanzarchitektur durchzuführen.