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Von Celia Sudhoff
Am 15. und 16. April 2025 kamen in Genf erstmals in diesem Jahr Staaten, zivilgesellschaftliche Organisationen und Rechtsexpert*innen zu zwischenstaatlichen Konsultationen im Rahmen des Prozesses zur Ausarbeitung eines internationalen Menschenrechtsabkommens zur Regulierung transnationaler Unternehmen und ihrer Wertschöpfungsketten zusammen – dem sogenannten „UN-Treaty“.
Im Mittelpunkt der Gespräche standen die zentralen Artikel 4 (Rechte von Betroffenen), 5 (Schutz von Betroffenen) und 7 (Zugang zu Rechtsmitteln), die das Herzstück des geplanten Abkommens bilden. Daher war auch das Interesse an der Sitzung hoch: mehr als 40 Staaten waren vor Ort dabei.
Verbesserter Menschenrechtsschutz – Bedeutung von Begriffsdefinitionen
Gleich zu Beginn stellten die Rechtsexpert*innen klar: Der Verweis auf „international anerkannte Menschenrechte“ umfasst Verträge, Gewohnheitsrecht und nationale Rechtsnormen – vorausgesetzt, letztere bieten nicht weniger Schutz. Die Notwendigkeit, nationale Gesetzgebung nicht als Einfallstor zur Verwässerung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen zu missbrauchen, wurde von mehreren Staaten wie Mexiko, Frankreich und Kolumbien betont. FIAN forderte ausdrücklich, dass im Zweifelsfall das für die betroffenen Gemeinschaften günstigere Recht zur Anwendung kommen sollte.
Der Begriff „victim“ war abermals ein zentrales Diskussionsthema. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen sowie Staaten wie Südafrika, Brasilien und Mexiko plädierten für eine inklusivere Sprache: Der Begriff „victim“ sollte mit „affected persons and communities“ ergänzt werden, um auch jene zu erfassen, die Risiken ausgesetzt sind, noch bevor ein Schaden entstanden ist. Allerdings regen sich Zweifel – insbesondere in der Zivilgesellschaft – an der Verwendung des Begriffs „persons“, da es in verschiedenen Rechtssystemen üblich ist, Unternehmen als „legal person“ zu bezeichnen und diese dadurch Schutz unter Artikel 4 erhalten könnten. Alternativ sollte daher eher von „natural persons“ oder „individuals“ gesprochen werden.
Trotz eines internationalen Konsenses über den Schutz von Menschenrechts- und Umweltverteidiger*innen – u.a. in der Resolution der UN-Generalversammlung 53/144 – forderten Russland, China und Saudi-Arabien die Streichung des Artikels 5.2. Dem trat eine breite Allianz aus Zivilgesellschaft und Staaten (u. a. Frankreich, Brasilien, Ghana und Deutschland) entgegen. Auch die Rechtsexpert*innen sehen keine Grundlage für eine Streichung des Paragraphen. Sie verwiesen außerdem auf den besonderen Schutzstatus von Zeug*innen.
Zunehmende Unterstützung gab es für die explizite Erwähnung von Umweltschutz und gender-sensiblen Formulierungen im gesamten Text. Panama brachte darüber hinaus die Idee ein, digitale Räume in dem Vertrag zu berücksichtigen.
Aufgrund inhaltlicher Parallelen wurde während der 10. Verhandlungsrunde im Dezember 2024 für einige Unterartikel die Zusammenlegung von Artikel 4 und 5 gefordert. So klingen beispielsweise Artikel 4.4. und 5.4. sehr ähnlich, allerdings ist Artikel 4.4 ein Recht für Betroffene und 5.4. eine Pflicht für Vertragsstaaten. Beide Paragraphen erfüllen also jeweils eine sehr wichtige und vor allem unterschiedliche Rolle im Vertrag. Durch die hilfreichen rechtlichen Klarstellungen der Rechtsexpert*innen zeichnet sich ein grundsätzlicher Konsens für die Beibehaltung beider Artikel ab.
Zugang zu Gerechtigkeit – Abbau von Hürden
Artikel 7, der den Zugang zu Rechtsmitteln regelt, wurde mit besonderem Interesse diskutiert. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen und mehrere Staaten forderten substanzielle Änderungen, um reale Hindernisse im Kampf um Gerechtigkeit zu beseitigen:
- Zugang zu Informationen, allumfassend und zu sämtlichen Zeitpunkten im Prozess.
- Abschaffung des „forum non conveniens“ – also des Arguments, ein Gericht sei ungeeignet, obwohl keine andere Instanz bereit ist.
- Finanzielle Hilfen für Betroffene.
- (Progressive) Umkehrung der Beweislast – Unternehmen sollen in Zukunft nachweisen müssen, dass sie keinen Schaden verursacht haben.
Vertreter*innen der Wirtschaft lehnten viele dieser Forderungen erwartungsgemäß ab. Sie argumentierten u.a., dass ohne „forum non conveniens“ das sogenannte „forum shopping“ gefördert wird und eine vollständige Beweislastumkehr der Unschuldsvermutung widerspricht. Doch die Unterstützung durch zahlreiche Staaten wie Palästina, Kolumbien, Südafrika und viele NGOs macht deutlich: das reale Machtungleichgewicht zwischen transnationalen Unternehmen und den Betroffenen wird anerkannt und juristische Methoden für einen verbesserten Zugang zu Recht offen diskutiert.
Fazit
Der Vorsitzende zog ein positives Fazit: Die Konsultationen haben zentrale Begriffe und Differenzen geklärt und legen eine wichtige Grundlage für die 11. Verhandlungsrunde im Oktober 2025.
Zentrale Beobachtungen des Vorsitzenden:
- Artikel 4 & 5: Breite Unterstützung für die Formulierung „victims, affected persons and communities“, möglicherweise als Definition in Art. 1.
- Wachsende Zustimmung für ein inklusives Verständnis von Menschenrechten (“all internationally recognized human rights and fundamental freedoms recognized in international law and domestic law“), sowie für das Recht auf vorsorgliche Maßnahmen, auch bei laufenden Menschenrechtsverletzungen.
- Artikel 5.2: Mehrheit für die Beibehaltung des Artikels zum Schutz für Menschenrechtsverteidiger*innen.
- Artikel 7: Forderung den Begriff „state agencies“ durch „state institutions“ oder „state authorities“ zu ersetzen, grundsätzliche Unterstützung von „judicial/non-judicial mechanisms“, breite Zustimmung beim Zugang zu Informationen, der Rechtsbeihilfe und für den Erhalt des Begriffs „effective remedy“.
- „forum non conveniens“ soll unter Artikel 9 verhandelt werden.
Beobachtungen aus der Zivilgesellschaft:
Aus Sicht der Treaty Alliance Deutschland ist es besonders erfreulich, dass Deutschland sich im informellen Setting der Konsultationen deutlich aktiver beteiligt als bei den offiziellen Verhandlungen. Auch die EU brachte trotz fehlendem offiziellen Verhandlungsmandat einige wichtige Aspekte ein. Insbesondere bei der zivilrechtlichen Haftung wurde auf bestehende EU-Legislation verwiesen.
Das Vorgehen des ecuadorianischen Vorsitzenden und die Beiträge der Rechtsexpert*innen waren für die Konsultationen sehr förderlich. Begriffe und deren Implikationen wurden offen diskutiert, Wege zur Kompromissfindung aufgezeigt.
Staaten und Zivilgesellschaft sollten aktiv an der Ausgestaltung eines ambitionierten Vertrags mitwirken – für echten Zugang zu Gerechtigkeit, starken Opferschutz und eine verbindliche menschenrechtliche Regulierung globaler Konzerne. Daher wird weiterhin eine aktive und progressive Beteiligung der EU und deren Mitgliedsstaaten gefordert. Auch der Einfluss von Unternehmensvertreter*innen auf den laufenden Verhandlungsprozess muss beschränkt werden. Stattdessen sollte insbesondere die Stimmen der Betroffenen besser gehört werden. Nur so kann das aktuell bestehende Machtungleichgewicht im internationalen Rechtssystem endlich überwunden werden und Menschenrechte vor Profitinteressen gestellt werden.
Ausblick
Der Vorsitzende sicherte zu, vor der 11. Verhandlungsrunde im Oktober 2025 einen zusammenfassenden Bericht über die thematischen Konsultationen vorzulegen. Darin sollen auf Basis der Diskussionen auch unverbindliche Lösungsvorschläge zur Unterstützung der weiteren Verhandlungen enthalten sein.
Die nächsten thematischen Konsultationen sind für den 2. und 3. sowie den 4. und 5. Juni 2025 geplant – die Bestätigung für Räumlichkeiten und Dolmetscherservices steht noch aus. Auch die Finanzierung für die Teilnahme der Rechtsexpert*innen ist noch unklar.
Weitere Informationen:
Das Non-paper des Vorsitzenden zu Artikel 4, 5 und 7 wurde hier veröffentlicht.
Zum Verlauf der 10. Verhandlungsrunde gibt es hier den Bericht des Vorsitzenden und hier den Bericht des Global Policy Forums
Der aktuelle Vertragstext, mit den Vorschlägen der Staaten während der neunten und zehnten Verhandlungsrunden, kann hier abgerufen werden.