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Von Bodo Ellmers
Eine fundamentale Reform der internationalen Finanzarchitektur ist eine der wichtigsten Voraussetzungen wirksamer Entwicklungsfinanzierung und zentral für den Kampf gegen den Klimawandel. Sie gilt als eine der größten Herausforderungen des Multilateralismus.
Fast 80 Jahre nachdem das Bretton-Woods-System aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs hervorgegangen ist, hat sich der UN-Generalsekretär dem Thema angenommen und in einem Policy Brief eine breite Palette von Reformvorschlägen gemacht. Dabei geht es um die Modernisierung existierender Institutionen, wie der Weltbank und dem Internationaler Währungsfonds, aber auch um die Schaffung völlig neuer Institutionen für das Management von Schuldenkrisen oder die Verhandlung internationaler Steuerabkommen.
Das Policy Brief des UN-Generalsekretärs ist Teil des breiteren UN-Reformprozesses „Our Common Agenda“, in dem die Reform der internationalen Finanzarchitektur als eine der wichtigen Zukunftsaufgaben definiert wurde, der sich die UN annehmen müssen. Sie ist als ein Input zu verstehen, sowohl in die Vorbereitungen für den Summit of the Future sowie auch die Vierte UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD4), die für 2024 respektive 2025 angesetzt sind. Das Dokument hat von der Expertise zahlreicher Institutionen des UN-Systems profitiert.
Das vorgeschlagene Reformpaket spiegelt einerseits den aktuellen Stand der Debatte im fachlichen Diskurs wider, enthält aber auch einige Innovationsvorschläge, die entweder komplett neu sind oder bislang keine große Beachtung gefunden haben. Das Ambitionsniveau hebt sich wohltuend ab von den eher moderaten und inkrementellen Vorschlägen, die aus den Reihen der G20 oder von internationalen Finanzinstitutionen selbst stammen, wie der derzeit diskutierten „Evolution Roadmap“ der Weltbank. Das Paket ist auch breiter angelegt als die sogenannte Bridgetown Initiative zur Reform der internationalen Finanzarchitektur, die derzeit im Vorlauf des Pariser Summit for a Global Financial Pact viel Beachtung erhält.
Der Generalsekretär kritisiert, dass die derzeitige Finanzarchitektur hoffnungslos veraltet ist, den derzeitigen Notwendigkeiten nicht entspricht, und durch unfaire Behandlung der verschiedenen Staatengruppen Ungleichheit fördert und Unterentwicklung zementiert, statt zu ihrer Überwindung beizutragen. Nur ein Beispiel ist die Allokation von Sonderziehungsrechten (SZR) durch den IWF während der Coronakrise. Hierbei ging gut die Hälfte der Allokation an die reichen Länder des globalen Nordens, die überhaupt keine zusätzliche Liquidität gebraucht hätten, während nur ein symbolischer Betrag an die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) mit dringendem Bedarf floss.
Das Papier enthält alles in allem gut 50 Politikempfehlungen, die sich in sechs große Bereiche gruppieren lassen. Dies sind:
- Global Economic Governance
- Schuldenerlass und die Finanzierungskosten von Staatschulden
- Internationale öffentliche Finanzen
- Das globale finanzielle Sicherungsnetz
- Regulierung privater Kapitalmärkte
- Die internationale Steuerarchitektur
Zu den besonders interessanten und innovativeren Empfehlungen zählt zum Beispiel der Vorschlag zur Governance-Reform des IWF und der Weltbank. Hier wird empfohlen, das vielfach kritisierte one-dollar-one-vote System, in dem die Verteilung der Stimmrechte primär durch die Quote und damit durch die Wirtschaftskraft der Länder bestimmt ist, durch den Faktor Bevölkerung zu ergänzen. Damit würden vor allem asiatische Länder an Stimmrechten gewinnen. Das Papier lässt offen, ob diese Regelung zu einer Abschaffung des de facto US-Vetos über Entscheidungen der internationalen Finanzinstitutionen führen würde. Auch solle bei Abstimmungen verstärkt das Prinzip der doppelten Majoritäten gelten. Das bedeutet, dass neben der Mehrheit der Stimmrechte und eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten zustimmen müssen. Die Vorstände sollen mit zusätzlichen Exekutivdirektor*innen ergänzt werden, um damit Ländern des globalen Südens mehr direkte Mitsprache einzuräumen.
Breiten Raum nehmen auch neue Institutionen für die Lösung von Schuldenkrisen ein. Dies stellt vielleicht die derzeit eklatanteste Lücke der internationalen Finanzarchitektur dar, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass viele Länder in der Schuldenfalle sitzen, aus der sie mithilfe existierender Institutionen nicht herausfinden können. Der Generalsekretär unterstützt die Einrichtung einer neuen Global Debt Authority, die in inklusiver Weise, unabhängig von Gläubigern oder Schuldnern operieren und den lange geforderten internationalen Rechtsrahmen für Staateninsolvenzen entwickeln soll.
Auch ein neuer Schuldenbereinigungsmechanismus – besser gesagt ein Treuhandfonds - soll errichtet werden und könnte bei einer Multilateralen Entwicklungsbank angesiedelt werden. Schulden von Krisenländern könnten an ihn verkauft werden, der Mechanismus würde auch die Finanzierung der Umschuldung unternehmen, mit Unterstützung bilateraler Geber. Dieser Vorschlag kommt aus dem akademischen Bereich, und ist nicht unumstritten. Bislang galt der IWF als Favorit für die Übernahme neuer Funktionen im Schuldenkrisenmanagement, während NGOs eine klare Präferenz für die UN hatten. Auch ist fraglich, ob man gerade renitenten privaten Gläubigern mit derartigen Anreizen entgegenkommen, oder besser einen verbindlichen Rechtsrahmen zu ihrer Einbindung schaffen sollte.
Im Bereich Steuern versucht das Papier den Spagat zu schaffen, einerseits das bereits verabschiedete „Two-Pillar-Abkommen“ der OECD weiterzuentwickeln und andererseits Governance-Lücken zu füllen. Im ersteren Bereich fordert der UN-Generalsekretär eine Erhöhung des Mindeststeuersatzes für transnationale Konzerne, da der derzeit niedrige Satz von 15% den schädlichen Steuerwettbewerb noch anfeuern würde. Auch solle verstärkt an der Quelle der Umsätze besteuert werden und nicht am Unternehmenssitz, wodurch zusätzliche Einnahmen im globalen Süden zu erwarten sind. Das Papier fordert zugleich aber auch inklusivere globale Institutionen zur Verhandlung internationaler Steuerabkommen, dies im Gleichklang mit der UN-Generalversammlung. Auch die Einführung internationaler Steuern, zum Beispiel auf Finanztransaktionen oder die Schiff- und Luftfahrt, soll Teil des Reformprogramms sein.
Eine ganze Reihe von Vorschlägen beschäftigt sich damit, wie Kapital für Investitionen im globalen Süden einerseits billiger werden, und andererseits besser auf die Ziele nachhaltiger Entwicklung ausgerichtet werden kann. Oder auch damit, wie die Volatilität internationaler Kapitalflüsse reduziert und die Finanzmärkte besser reguliert werden können, um Finanzkrisen und ihre verheerenden Folgen zu vermeiden.
Was das Papier allerdings nicht leistet, ist die Reformen in irgendeiner Weise zu priorisieren oder zu operationalisieren. Lediglich im Kapitel zur IWF-Reform wird darauf hingewiesen, dass der laufende Überprüfungsprozess der IWF-Quoten eine Chance zur Reform bietet. Der nächste Schritt wäre damit die Übersetzungsleistung, wichtige Reformvorschläge in effektive Politikprozesse einzubetten. Die anlaufenden Vorbereitungsprozesse für den Summit of the Future und die FfD-4-Konferenz bieten die beste Gelegenheit dafür.