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Vom 15. bis 17. Oktober ist es wieder soweit: Das “who is who” der Expert*innen für globale Gesundheit trifft sich zum Weltgesundheitsgipfel in Berlin. An drei Tagen werden mehr als 6.000 Teilnehmende erwartet. Doch werden dort aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie auch die richtigen Lehren für den Aufbau einer zukunftsfähigen Weltgesundheitsarchitektur gezogen?
Seit Jahrzehnten hat die Weltgemeinschaft mit den Herausforderungen einer stark fragmentierten globalen Gesundheitsarchitektur zu kämpfen. Zahlreiche internationale Organisationen wie Weltbank und UNAIDS, private Stiftungen wie die Bill & Melinda Gates Foundation oder der Wellcome Trust, Gesundheitsinstituten, Pharmaunternehmen bis hin zu Multi-Stakeholder-Initiativen wie der Impfallianz GAVI und dem Globalen Fonds sorgen für eine wachsende Unübersichtlichkeit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist hier nur eine unter vielen Akteur*innen, dabei kommt ihr eine zentrale Rolle in der Koordinierung globaler Gesundheitspolitik zu.
Aber die Fragmentierung wächst: Jede*r Akteur*innen hat seine eigenen Interessen, setzt unterschiedliche Schwerpunkte und nutzt unterschiedliche Methoden und Finanzierungsinstrumente. Die Folgen gerade für Länder im Globalen Süden: erhöhte Transaktionskosten, eine erschwerte Koordinierung, sich entgegenlaufende oder duplizierte Maßnahmen, sowie Aufgabenbereiche, die unterfinanziert bleiben. Hinzu kommt eine Finanzmittelkonkurrenz zwischen den Akteur*innen und die Schwierigkeit, all die Initiativen mit all ihren eigenen Strukturen extern zu monitoren und zu begleiten - durch die Zivilgesellschaft, aber vor allem auch durch die WHO und die Regierungen selbst.
Besonders deutlich wurden die mit der fragmentierten Akteurslandschaft einhergehenden Probleme angesichts der unkoordinierten Reaktion auf die COVID-19-Pandemie. Die Vorgaben der WHO für eine gerechte und effiziente Verteilung von Impfstoffen und anderen notwendigen medizinischen Produkten zur Eindämmung der Pandemie wurden nicht eingehalten. Die WHO rief in Kooperation mit mehreren Regierungen, philanthropischen Stiftungen, Pharmaindustrie und weiteren Multi-Stakeholder-Partnerschaften die globale Multi-Stakeholder-Initiative (MSI) Access to COVID-19 Tools Accelerator (ACT-A) als dem zentralen globalen Mechanismus zur Eindämmung der Pandemie ins Leben. Doch die Konsequenz war, dass die WHO innerhalb der Initiative nur noch eine Nebenrolle spielte.
ACT-A scheiterte in der Folge nicht nur an ihren Zielen zur weltweiten Verteilung von Impfstoffen, sondern auch am Koordinierungsanspruch der Initiative. Das lag einerseits daran, dass die Länder des Globalen Nordens im Alleingang Impfstoffe horteten, andererseits aber auch an den grundlegenden Problemen, die mit der Struktur einer Multi-Stakeholder-Initiative wie ACT-A einhergehen. Denn solche Initiativen, bei denen meist alle Beteiligten die gleichen Entscheidungsbefugnisse haben, beruhen auf freiwilligen Selbstverpflichtungen der beteiligten Staaten, Unternehmen, Stiftungen und anderen Organisationen.
MSI sind keine Lösung für die Herausforderungen einer fragmentierten Gesundheitslandschaft, sondern Teil des Problems. Doch anstatt aus den Fehlern der Vergangenheit, insbesondere von ACT-A, zu lernen, erarbeiten verschiedene Akteur*innen der globalen Gesundheit erneut ähnliche Instrumente, um auf zukünftige Pandemien zu reagieren - so auch auf dem diesjährigen World Health Summit.
Anstelle durch immer neue, auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhende MSI zu einer immer weiteren Fragmentierung der Globalen Gesundheitsarchitektur beizutragen, müssen Regierungen und Unternehmen zu mehr Verbindlichkeit verpflichtet werden. Konkret heißt das aus unserer Sicht:
- Im Rahmen des Pandemievertrags sollten die Regierungen sich verbindlich für einen global gerechten Zugang zu essentiellen Medizinprodukten und das Teilen von Daten und Technologien und Know-how einsetzen und klare Verantwortlichkeiten benennen.
- Regierungen sollten es Unternehmen nicht selbst überlassen, an wen sie essentielle Arzneimittel und Technologien verkaufen, wie viel sie davon produzieren und ob sie das Wissen zu ihrer Herstellung mit anderen teilen. Insbesondere wenn öffentliche Gelder investiert wurden, sollten Unternehmen zu Kostentransparenz bei Forschung, Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln und Technologien sowie Transparenz bei der Preisgestaltung verpflichtet werden.
- Im Sinne des One-Health-Ansatzes sollten die Regierungen nicht nur die Vorsorge- und Reaktionsfähigkeit auf zukünftige Gesundheitskrisen stärken, sondern sich auch zu ihrer Prävention verpflichten.
- Die Rechenschaftspflicht und Transparenz von Regierungen und zwischenstaatlichen Organisationen muss erhöht werden. Nur mit einem starken Durchsetzungsmechanismus wird der Pandemievertrag und andere gesundheitspolitische Vereinbarungen Wirkung zeigen. Der Mechanismus zur Streitschlichtung bei Verstößen gegen die Internationalen Gesundheitsvorschriften sollte gestärkt und für die Vertragsstaaten verbindlich gemacht werden.
- Die Einbeziehung und Stärkung der Stimme zivilgesellschaftlicher Organisationen, insbesondere lokaler Akteur*innen und Gruppen aus dem Globalen Süden ist wesentlich, da gerade diese die Regierungen und einflussreichen Akteur*innen in der globalen Gesundheit für ihr (Nicht-) Handeln zur Verantwortung ziehen.
- Schließlich muss auch die Rechenschaftspflicht und Transparenz von MSI und anderen einflussreichen Akteur*innen in der globalen Gesundheit gegenüber öffentlichen Gremien erhöht werden: Dafür ist ein umfassender rechtlicher und institutioneller Rahmen für Multi-Stakeholder-Partnerschaften notwendig, um sicherzustellen, dass die oben beschriebenen Risiken und Nebenwirkungen von Partnerschaften mit privaten Akteur*innen vermieden werden.
Werden diese Reformvorschläge in die Verhandlungen aufgenommen, kann vom diesjährigen Weltgesundheitsgipfel in Berlin ein deutliches Signal zur Stärkung der globalen Gesundheitsarchitektur ausgehen.
Weitere Hintergrundinformationen dazu finden Sie in dem ausführlichen Briefing Paper “Pandemie der Freiwilligkeit - Die zunehmende Fragmentierung der globalen Gesundheitsarchitektur durch immer neue Multi-Stakeholder-Initiativen” von Karolin Seitz.