Hürdenlauf nach Sevilla

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Verbleibende Konfliktlinien auf der FfD4-Agenda
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Cover image of blog article no 11 in the series "On the road to FfD4"
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Von Bodo Ellmers

Die Vierte Internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD4) im Juni in Sevilla soll Reformen der internationalen Finanzarchitektur vorantreiben und damit auch die gewaltige SDG-Finanzierungslücke füllen. Die vierte und letzte Sitzung des Vorbereitungskomitees Ende April bei der UNO in New York hat die verbleibenden Konfliktlinien offengelegt. Die informellen Verhandlungen in den nächsten Wochen versprechen spannend zu werden. Statt dem erhofften Endspurt steht ein Hürdenlauf bevor.

Defizite bei der Entwicklungsfinanzierung gelten als Hauptgrund dafür, dass die Umsetzung der Agenda 2030 in Rückstand geraten ist, derzeit wird die Finanzierungslücke auf über 4 Billionen US-Dollar pro Jahr geschätzt. Verantwortlich dafür sind nicht zuletzt fehlende oder veraltete Institutionen in der internationalen Finanzarchitektur. Bereits im Vorlauf des UN-Zukunftsgipfels letztes Jahr nannte UN-Generalsekretär António Guterres das Institutionengefüge „dysfunktional, veraltet und ungerecht“ und wandte sich mit dem dringenden Appell zur Reform an die internationale Gemeinschaft. FfD4 ist einberufen worden, um sich der Aufgabe anzunehmen.

Unerwartete Hindernisse 

Seit der FfD4-Vorbereitungsprozess begann – im Juli letzten Jahres symbolträchtig in Addis Abeba, wo 2015 die letzte Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung stattfand – sind neue und unerwartete Herausforderungen hinzugekommen. Die neue US-Regierung von Donald Trump hat ihre öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) quasi über Nacht eingestellt. Im Schatten des USAID-Schocks haben auch die europäischen Geber massive ODA-Kürzungen angekündigt. Der ebenfalls von der US-Regierung im Frühjahr ausgerufene Zollkrieg droht fragile Entwicklungsländer überproportional hart zu treffen. Mit ODA und Exporteinnahmen drohen kurz vor Sevilla zwei der wichtigsten Quellen der Entwicklungsfinanzierung parallel wegzubrechen. Die jüngsten Ereignisse haben auch gezeigt, wie fragil das regelbasierte multilaterale System in Wirklichkeit ist. Eine wichtige Lektion für die kommende FfD-Konferenz, den Regelsetzung ist eine ihrer Hauptaufgaben.

Bei den Verhandlungen in New York wurde offensichtlich, dass die Reaktion auf diese Schocks in Nord und Süd sehr unterschiedlich ausfallen. Die EU und viele ihrer Mitgliedstatten vertreten die Ansicht, zum Ersatz für fehlende öffentliche Mittel müsste nun noch mehr im Bereich der Mobilisierung privater Finanzmittel getan werden. Regierungen des globalen Südens wollen dagegen Fortschritte insbesondere bei Steuern und Schulden sehen: Die internationale Steuerkooperation müsse gestärkt werden, um illegitime Finanzflüsse wirksam zu bekämpfen und dem Süden mehr Besteuerungsrechte einzuräumen. Dazu rückt die Schuldenthematik zunehmend ins Zentrum der Verhandlungen, und das aus gutem Grund. 

Schuldenarchitektur als Knackpunkt der Verhandlungen

Die Verschuldung der Entwicklungsländer ist im Jahrzehnt seit Addis Abeba förmlich explodiert. Rapide angestiegene Zinszahlungen fressen die Staats- und Exporteinnahmen auf, mittlerweile leben mehr als 3 Milliarden Menschen in Ländern, deren Regierungen mehr für den Schuldendienst ausgeben als für Bildung oder Gesundheit. Die Sprecherin der Afrikagruppe bei der UNO öffnete das UN Financing for Development Forum, das diesmal im Paket mit der letzten Sitzung des FfD4-Vorbereitungskommittees stattfand, mit einem plastischen und drastischen Vergleich: Mittlerweile müssen mehr als 90 Prozent der afrikanischen Länder einen höheren Anteil ihrer Exporteinnahmen für den Schuldendienst aufwenden als das Nachkriegsdeutschland nach dem Konditionen des Londoner Schuldenabkommens von 1953. Ein maximaler Anteil von 3 Prozent, der auch nur dann fällig wurde, wenn Deutschland Exportüberschüsse erzielte, wurde damals als Obergrenze des Möglichen angesehen, wenn ein Land wirtschaftlich auf die Beine kommen soll. Das ist wohl immer noch so, was die afrikanische Misere erklärt: Das Schuldensystem, wie es von G20 und dem Internationalen Währungsfonds gestaltet wurde, macht Gläubiger reich und hält Entwicklungsländer arm. 

Eine grundlegende Reform der Schuldenarchitektur gilt für viele als der zentraler Verhandlungspunkt auf den letzten Meilen bis zum Gipfel in Sevilla. Auf der Forderungsliste der Entwicklungsländer stehen die die Einrichtung einer Global Debt Authority und ein zwischenstaatlicher Prozess der bei den Vereinten Nationen, der zu einem multilateralen Staateninsolvenzregime führen könnte. Der Prozess selbst ist auch im aktuellsten Verhandlungstext mandatiert , stieß allerdings bei Vertreter:innen des Nordens auf Widerstände. Selbst bei den EU-Verhandlungsführer:innen, obwohl diese offiziell anerkennen, dass Fortschritte bei der Reform der Schuldenarchitektur zentrales Kriterium für den Erfolg von FfD4 sind. 

Kein Mangel an Hürden auf dem Weg nach Sevilla

Allerdings ist das Schuldenkapitel nicht das einzige Bereich, bei dem im derzeit schwierigen geopolitischen und ideologischen Umfeld noch Hürden zu überwinden sind. Hier ist ein kurzer Überblick über zentrale Konfliktpunkte in den einzelnen Handlungsfeldern.  

Chapeau: Normalerweise ist das einleitende Chapeau eines UN-Abkommens unerheblich, weil unverbindlich und ohne operationelle Konsequenzen. Doch diesmal ein weiterer Schock: Für die neue US-Regierung sind selbst Begriffe wie „nachhaltige Entwicklung“, „Gender“ oder „Inklusion“ rote Tücher, die sie nicht im Ergebnisdokument erwähnt sehen will. Eigentlich für den gesamten Rest der Weltgemeinschaft gilt jedoch die Agenda 2030 in ihrer Gesamtheit weiterhin als die Leitlinie, an der sich FfD4 auszurichten hat. Auf den Fluren in New York haben einige die Hoffnung geäußert, dass die USA die FfD-Verhandlungen verlassen würden, wie sie es bereits beim parallel laufenden Prozessen zur UN-Steuerkonvention getan haben. Ein stärkerer „Konsens minus eins“ sei einem schwächeren Trump-kompatiblem Ergebnis vorzuziehen, trotz der Bedeutung der USA in Finanzfragen. 

Einheimische Ressourcen und Steuern: Steuern waren 2015 in Addis Abeba noch der Knackpunkt, jetzt wurde der FfD-Prozess durch die Verhandlungen zur UN-Steuerkonvention entlastet. Allerdings scheinen einige Akteure des Nordens die dort verhandelten Terms of Reference durch den FfD-Prozess aufweichen zu wollen, was bei den G77 – der Verhandlungsgruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer bei der UN – und insbesondere bei der Afrikagruppe und den NRO auf Widerstand stößt. Kontrovers ist auch die Debatte um globale Steuern, die unter anderem durch die von Frankreich initiierte Global Solidarity Levies Task Force angestoßen wurde. Einige Entwicklungsländer fürchten, dass über global einheitlich angewandte Umweltsteuern das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung in der Klimafinanzierung unterwandert werden könnte. Der letzte Verhandlungstext enthält einige konkrete Innovation zur Bekämpfung der Steuerflucht, zum Beispiel globale Register für Vermögen und deren wirtschaftlich Begünstigte, die noch nicht bei allen Unterstützung genießen. 

Mobilisierung privater Investitionen: Dies scheint der derzeit am wenigsten kontroverse Bereich in den Verhandlungen zu sein, da der Norden hier einen Fokus setzt, und der Süden die Notwendigkeit privater Investitionen anerkennt. Der Verhandlungsdokument sieht auch keine neuen internationalen Institutionen oder Abkommen vor, sondern enthält primär unverbindliche Leitlinien für multilaterale Entwicklungsbanken und Handlungsempfehlungen, die jeder Mitgliedstaat auch unilateral ergreifen könnte. Da dies niemanden wirklich zu irgendetwas verpflichtet, gibt es wenig Grund zum Widerspruch. 

Handel und Exporteinnahmen:  Nicht überraschend ein großes Thema seit Ausbruch des Zollkriegs. Hatte das zero draft noch Verbesserung zu Detailfragen des Handelssystems verfolgt, ging es bei der vierten Sitzung um eine Erneuerung des Bekenntnisses zum regelbasierten multilateralen Handelssystem an sich. Die USA sich in der Handels-Sitzung nicht geäußert

Öffentliche Entwicklungsfinanzierung:  Auch hier geht es durch die jüngsten Rückschläge um ein Neubekenntnis zu den ODA-Zielen, primär zum 0,7%-Ziel für die „alten“ Geber. Gab es zu Beginn der Verhandlungen noch Hoffnung, dass Sevilla zu einer Revitalisierung der Aid Effectiveness Agenda werden könne, geht es nun primär darum, ODA in nennenswerter Quantität zu retten. Verhandelt wird auch über die Reform des ODA-Reporting, zum Beispiel zur Herausnahme der Flüchtlingskosten, um die Integrität der ODA-Berichterstattung zu verbessern und mehr Anreize für tatsächliche Transfers in den Süden zu schaffen. 

Brisantes Politikum beim Financing for Development Forum: Weil außer dem EU-Kommissar für Entwicklung, Jozef Síkela, kaum hochrangige Vertreter:innen aus dem Norden da waren, und dieser gemäß der EU-Präferenzen das Podium zu privaten Investitionen gewählt hatte, wurde das Podium zu „Revitalisierung der Entwicklungszusammenarbeit“ durch Katar und Russland besetzt. 

Systemische Fragen: Priorität für die G77 bleibt weiterhin, dass FfD4 zum Meilenstein bei der Reform der internationalen Finanzarchitektur wird, insbesondere auch für Governance-Reform ihrer zentralen Institutionen – dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank – und ihrer Finanzierungsinstrumente, die neben verschiedenen Kreditfazilitäten auch die IWF-Sonderziehungsrechte umfassen. Reformunwille Länder – insbesondere die an Besitzstandwahrung interessierte USA, aber auch die Europäer – versuchen das abzublocken, in dem sie der UNO das Recht absprechen, hier Entscheidungen zu fällen. Dies sei Aufgabe der eigenen Entscheidungsgremien von IWF und Weltbank, in denen die alten Mächte natürlich die Mehrheit haben und überfällige Reformen seit Jahrzehnten blockieren. Bei der UN können andere Mehrheiten entstehen, weil das Prinzip der Staatengleichheit gilt (ein Land – eine Stimme), während reichere Länder bei IWF und Weltbank mehr Stimmrechte haben.

Konsens oder Koalition der Willigen? 

Stimmrechte könnten auf der letzten Etappe bis Sevilla noch eine Rolle spielen. Bislang wurden alle Ergebnisdokumente der UN-Konferenzen zur Entwicklungsfinanzierung im Konsens verabschiedet, angefangen vom Monterrey Consensus in 2002, der Doha Declaration in 2008, und schließlich der Addis Ababa Action Agenda in 2015. Die Sevilla-Konferenz könnte erstmals in einer Kampfabstimmung enden. Die allgemeine Erwartung ist, dass zumindest die G77 und die EU sich als konstruktive Stützen der multilateralen Ordnung im Allgemeinen und der Agenda 2030 im Besonderen zeigen werden. Die Vereinbarung eines neuen, den aktuellen Bedürfnissen entsprechenden, globalen Finanzierungsrahmens gehört dabei natürlich unbedingt dazu. Mit diesen beiden Gruppen wäre die Mehrheit gesichert. Sich hinter Trump zu verstecken, ist also für die europäischen Staaten keine Option.