Weltgesundheitsversammlung 2025

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Ratifizierung des Pandemievertrags erneut aufgeschoben
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Von Karolin Seitz und Jens Martens

Vom 19. bis 27. Mai 2025 kommen die Staaten in Genf zur 78. Weltgesundheitsversammlung (WHA) zusammen. Zentraler Punkt auf der Agenda des Treffens ist der Pandemievertrag. Mit ihm wollen die Regierungen Lehren aus COVID-19 ziehen und für die Prävention, Vorsorge und Bekämpfung zukünftiger Pandemien besser gewappnet sein. Nachdem über drei Jahre intensiv verhandelt wurde, einigten sich die Staaten am 16. April 2025 auf einen Abkommenstext. Der WHO Generaldirektor  Tedros Adhanom Ghebreyesus lobt die Einigung als Erfolg des Multilateralismus und „historisch“ für die Bekämpfung von Pandemien. 

Es wurde jedoch nicht klar kommuniziert, dass der Pandemievertrag nach der 78. WHA noch längst nicht bereit zur Unterzeichnung und Ratifizierung durch die Vertragsstaaten sein wird. Zwar konnten sich die Regierungen auf ein 37 Artikel umfassendes und 32 Seiten langes Dokument einigen, ein wesentliches Element fehlt allerdings noch: Das System zur Regelung eines gerechten Vorteilsausgleich für das Teilen genetischer Ressourcen von Krankheitserregern (Pathogen Access and Benefit-Sharing, PABS). Dabei ist eine Einigung hier dringend notwendig, damit in einem zukünftigen Pandemiefall die einkommensschwachen Länder bei der Impfstoffverteilung nicht erneut leer ausgehen bzw. nur verzögert Zugang zu wesentlichen Medizinprodukten wie Impfstoffen, Diagnostika und Medikamente erhalten.

Da sich die Regierungen bisher nicht über das PABS-System einigen konnten, wird bei der WHA im Mai 2025 zwar der vorliegende Abkommenstext verabschiedet, er kann jedoch anschließend noch nicht ratifiziert werden. Eine Begleitresolution legt die Modalitäten des weiteren Verhandlungsprozesses fest, darunter die Einsetzung einer neuen zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe (INB) und ein Zeitplan. Erst wenn die Staaten einen Konsens über das PABS-System gefunden haben, soll der gegenwärtige Text gemeinsam mit dem Annex im Gesamtpaket von der WHA verabschiedet und anschließend durch die Vertragsstaaten ratifiziert werden. Sobald 60 Staaten das Abkommen ratifiziert haben, wird es in Kraft treten. 

Der Zeitplan für die Verhandlungen war vor dem Hintergrund der sehr großen Interessensgegensätze und der Komplexität des Themas von Beginn an ambitioniert. Ursprünglich war die Verabschiedung des Abkommens bereits für die 77. WHA im Mai 2024 vorgesehen, musste aber mangels Konsens verschoben werden. Nach dem angekündigten Austritt der USA aus der WHO drängte die Verhandlungsführung und das WHO-Sekretariat die verbleibenden 193 WHO-Mitgliedsstaaten darauf, schnell eine vorläufige Einigung zu erzielen. Die Schätzungen über die Dauer der weiteren Verhandlungen über das PABS-System gehen weit auseinander, von sechs Monaten bis hin zu vier Jahren.

Parallel zu den Verhandlungen über einen Pandemievertrag wurden die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) überarbeitet und überraschend bereits während der 77. WHA verabschiedet. Die IGV bilden die völkerrechtliche Grundlage für die Bekämpfung grenzüberschreitender Infektionskrankheiten, hatten sich allerdings während der COVID-19-Pandemie als unzureichend erwiesen. In Abwesenheit eines Pandemievertrags sind die IGV aktuell die einzige Handlungsgrundlage für die internationale Kooperation im Pandemiefall. Nach Ansicht vieler Gesundheitsexpert*innen sollte der Mehrwert eines Pandemieabkommens gegenüber den IGV darin liegen, dass das Abkommen in seiner thematischen Reichweite über die IGV hinausgehen und sich beispielsweise auch mit dem gerechten Zugang zu medizinischen Produkten befassen sollte.

Ist die Welt jetzt besser gewappnet gegen Pandemien?

Die zentrale Frage, die sich nach der vorläufigen Einigung auf den Vertragstext stellt, lautet: Ist die Welt mit dem Abkommen bei der Prävention von und der Reaktion auf Pandemien besser aufgestellt als zuvor?

Die tatsächliche Wirksamkeit der vorgesehenen Maßnahmen zur Reaktion auf Pandemien wird sich letztlich am erfolgreichen Umgang mit einer neuen Pandemie messen lassen. Besser wäre jedoch, wenn es erst gar nicht zu einem neuen Pandemiefall käme. Damit würden sich die geplanten Maßnahmen zur Prävention als effektiv erweisen.

Allerdings ist das Abkommen genau in diesem Punkt nicht gut aufgestellt. Schließlich wären verpflichtende Maßnahmen zur Bekämpfung der zugrundeliegenden Ursachen der Entstehung von Zoonosen die beste Pandemieprävention. Dazu gehören beispielsweise die Bekämpfung des Klimawandels und der Entwaldung, das Vermeiden von Massentierhaltung und die Förderung von Agrarökologie. Immerhin ist mit der erstmaligen Berücksichtigung des One Health-Ansatzes in einem völkerrechtlichen Abkommen das Verständnis von Prävention nicht allein auf „Überwachung“ (surveillance) von Pandemien beschränkt. Der One Health-Ansatz nimmt das gesamte Ökosystem in den Blick und fordert, das Zusammenspiel der Gesundheit von Menschen, Tieren und der Umwelt zu berücksichtigen. Auch wenn der Abkommenstext ökologische, klimatische, soziale und ökonomische Faktoren als Treiber von Pandemien anerkennt, bleibt der Text vage darin, wie der One Health-Ansatz konkret umgesetzt werden soll. 

Sicherzustellen, dass alle Länder einen rechtzeitigen und gerechten Zugang zu den erforderlichen Impfstoffen, Medikamenten und Diagnostika erhalten, wäre die beste Maßnahme, um einen Infektionserreger frühzeitig einzudämmen und gar nicht erst zum Pandemiefall anwachsen zu lassen. Doch auch hier weist das Abkommen große Schwächen auf. Das Abkommen werde damit seinem Kernziel, Pandemien vorzubeugen, nicht gerecht, so das Urteil des Third World Network.

Die Länder des Globalen Nordens, darunter insbesondere die EU, beharrten auf ihrer Position, geistige Eigentumsrechte im Pandemiefall nicht aufzuheben und Pharmaunternehmen nicht dazu zu verpflichten, einen rechtzeitigen und gerechten Zugang zu pandemiebezogenen Gesundheitsgütern zu gewähren. Damit geben sie weiterhin den Interessen der Pharmaindustrie Vorrang gegenüber der Gesundheit von Menschen. 

Alles bleibt freiwillig

Insgesamt sieht das Abkommen kaum verpflichtenden Maßnahmen für die Vertragsstaaten vor, weder wenn es darum geht, wissenschaftliche Daten und Informationen über Krankheitserreger zu erheben und auszutauschen, eine Kernforderung der Länder des Globalen Nordens, noch beim Zugang zu wichtigen Medizinprodukten und -technologien im Pandemiefall, eine Kernforderung der Länder des Globalen Südens. Die meisten Vorgaben für die Staaten wurden abgeschwächt durch Zusätze wie „soweit angemessen“, „in Übereinstimmung mit nationalem Recht“ oder „vorbehaltlich der verfügbaren Mittel und des geltenden Rechts“.

Wie erwähnt soll auch der Technologie- und Wissenstransfer vorranging auf freiwilliger Basis gefördert werden. In den letzten Verhandlungsstunden im April 2025 bestanden die Länder aus dem Globalen Norden unter Leitung der EU plötzlich vehement darauf, dass bei jeder Bezugnahme auf den Technologietransfer die neue Formulierung „im gegenseitigen Einvernehmen“ (as mutually agreed) eingefügt wird. Ein Diplomat einer Regierung aus dem Globalen Süden erklärte gegenüber dem Informationsportal Geneva Health Files: „Es scheint, dass die Industrie aufgewacht ist und die G7-Länder am Wochenende angerufen hat.“ Der Begriff „im gegenseitigen Einvernehmen“ wird in einer Fußnote definiert als: „Für die Zwecke dieses Abkommens bedeutet ‚im gegenseitigen Einvernehmen‘, dass sie ohne Vorbehalt gegenüber den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien aus anderen internationalen Übereinkünften bereitwillig und zu einvernehmlich festgelegten Bedingungen durchgeführt werden“ (eigene Übersetzung). Laut der Rechtsanwältin und Expertin für pharmazeutische und geistige Eigentumsrechte Ellen `t Hoen kann die Fußnote allerdings so verstanden werden, dass die Regierungen andere Maßnahmen ergreifen können, um den Technologietransfer zu ermöglichen, wenn die Bereitschaft zum „gegenseitigen Einvernehmen“ nicht vorhanden ist.

Der Wunsch der Bundesregierung, neben der Formulierung „im gegenseitigen Einvernehmen“ zusätzlich das Wort „freiwillig“ (voluntary) aufzunehmen – eine auch von der Pharmalobby immer wieder eingebrachte Forderung – kam in den Verhandlungen nicht durch. Den Technologietransfer auf rein freiwillige Vereinbarungen zu beschränken, hätte möglicherweise dazu geführt, dass die Länder nicht mehr in der Lage gewesen wären, bereits bestehende rechtliche Rahmenwerke zu nutzen, um Unternehmen unter bestimmten Bedingungen zum Technologietransfer zu verpflichten.

Beispielsweise räumen die Vereinbarungen von 2021 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO) bestimmte Flexibilität beim Patentschutz für den Schutz der öffentlichen Gesundheit ein. Der Abkommenstext fordert von den Vertragsstaaten, diese Flexibilitäten der TRIPS-Vereinbarungen zu respektieren. Mit dieser Regelung ist das Abkommen jedoch weit von der Forderung von zivilgesellschaftlichen Gruppen und den Ländern des Globalen Südens nach einem TRIPS-Waiver entfernt. Eine solche Ausnahmegenehmigung (Waiver) hätte ermöglicht, im Falle einer Pandemie den Patentschutz für relevante Impfstoffe, Medikamente, Diagnostika und medizinische Geräte vorübergehend aufzuheben.

Verpflichtend ist für die Vertragsstaaten lediglich, dass sie Richtlinien zu Bestimmungen in öffentlich geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekten mit Unternehmen und öffentlich-privaten Partnerschaften entwickeln, die einen rechtzeitigen und gerechten Zugang zu pandemiebezogenen Medizingütern fördern. Ob dies beispielsweise durch Lizenzvergaben an Hersteller in Ländern des Globalen Südens ermöglicht werden soll, bleibt den Staaten überlassen.

Einige wenige Regelungen zum PABS-System sind bereits im gegenwärtigen Abkommenstext enthalten. So sollen Unternehmen, die daran teilnehmen, im Pandemiefall dazu verpflichtet sein, 20 Prozent ihrer pandemiebezogenen Gesundheitsgüter der WHO zur Verfügung zu stellen. Zehn Prozent davon sollen an die WHO gespendet werden und, abhängig von der Art und Fähigkeit des Herstellers, weitere zehn Prozent zu einem vergünstigten Preis angeboten werden. Da die Teilnahme am PABS-System für die Unternehmen freiwillig ist, handelt es sich bei dieser Vorgabe allerdings letztlich nur um eine freiwillige Selbstverpflichtung.

Die Länder des Globalen Südens betrachten die zusätzliche Zeit für die Verhandlungen über das PABS-System als Chance, sich nun fokussiert für Regelungen einzusetzen, die einen rechtzeitigen und gerechten Zugang zu medizinischen Gütern garantieren werden.

Einige wenige positive Elemente

Zivilgesellschaftliche Organisationen, wie beispielsweise Ärzte ohne Grenzen, sehen auch einige positive Errungenschaften in dem Abkommenstext, darunter Vereinbarungen zum Schutz von Gesundheitspersonal, die Priorisierung von Menschen in humanitären Notlagen und die Förderung von Transparenz in staatlichen Beschaffungsverträgen mit Herstellern von pandemiebezogenen Gesundheitsgütern. Außerdem sollen die Staaten vermeiden, Medikamente und Impfstoffe exzessiv zu horten und bei der nationalen Beschaffung einen Teil zur Unterstützung von Ländern des Globalen Südens vorsehen. Doch, wie erwähnt, bleibt es den Staaten selbst überlassen, ob sie diese Handlungsempfehlungen umsetzen oder nicht.

Ein weiterer positiver Aspekt im Abkommenstext ist die Rolle, die Gesundheitssystemen beigemessen wird. In einem eigenen Artikel ist vorgesehen, dass die Staaten ihre Gesundheitssysteme stärken und ihr Funktionieren im Pandemiefall gewährleisten sollen.

Schließlich soll ein Globales Lieferketten- und Logistik-Netzwerk geschaffen werden, das an die Stelle der Multi-Stakeholder-Initiative Access to COVID-19 Tools Accelerator (ACT-A) treten soll. ACT-A war während der COVID-19-Pandemie zur Koordination der Verteilung von Impfstoffen ins Leben gerufen worden, verfehlte seine Verteilungsziele allerdings bei weitem und stand wegen seiner Governance, mangelnder Transparenz und Interessenskonflikten in der Kritik. Im Gegensatz zu ACT-A soll das neue Netzwerk von der WHO in umfassender Abstimmung mit den Vertragsparteien entwickelt und koordiniert werden.

Fragen zur Umsetzung des Abkommens bleiben weiterhin offen

Das Abkommen wird einen Monat nachdem 60 Länder es ratifiziert haben in Kraft treten. Um die Umsetzung des Abkommens zu überwachen und ggf. zusätzliche Übereinkommen zu treffen, sollen die Vertragsparteien regelmäßig zu einer Vertragsstaatenkonferenz (COP) zusammenkommen. Die erste COP soll ein Jahr nach Inkrafttreten des Abkommens stattfinden. Ungeklärt ist jedoch noch, wie das Verhältnis zwischen der COP und der WHA, beispielsweise hinsichtlich der Berichtspflichten, aussehen soll und wie in der ohnehin bereits stark fragmentierten Globalen Gesundheitsgovernance eine weitere Parallelstruktur vermieden werden kann. Außerdem ist bislang nicht festgelegt, welche Rolle die WHO, und dabei u.a. ihr Notfallprogramm, bei der Umsetzung des Abkommens spielen sollen. 

Um zur Finanzierung der Umsetzung des Abkommens beizutragen, ist ein Koordinierender Finanzierungsmechanismus geplant. Der Vorstand des bei der Weltbank angesiedelten Pandemiefonds hatte (erfolgreich) darauf gedrängt, im Rahmen des Pandemieabkommens keinen weiteren Fonds zu schaffen und darum geworben, als Finanzierungsmechanismus für das Abkommen zu dienen. Dabei steht der Fonds u.a. aufgrund von mangelnder Einbeziehung der Länder des Globalen Südens und Dominanz großer Geber sowie mangelnder Rechenschaftspflicht gegenüber der WHA in der Kritik. Letztlich haben sich die Staaten darauf verständigt, dass der neue Finanzierungsmechanismus keine eigenen Mittel einwerben, sondern nur Finanzierungslücken und mögliche Finanzquellen identifizieren sowie Finanzierungsstrategien entwickeln soll. Außerdem soll er zur Hebelung von freiwilligen Beiträge für andere Finanzierungsinstrumente, wie beispielsweise den Pandemiefonds, beitragen.

Massive Finanzierungskrise der WHO überschattet Einigung über Pandemievertrag

Die Ankündigung der US-Regierung, aus der WHO auszutreten und auch die Beiträge für das Jahr 2025 nicht mehr zu zahlen hat zu einer Finanzierungskrise der WHO geführt. Mit den USA bricht der größte Geber der WHO weg. Sie waren für die Finanzierung von mehr als 20 Prozent des Budgets verantwortlich. Um die Insolvenz der WHO abzuwenden, werden aktuell massiv Stellen abgebaut, Einheiten zusammengelegt, das Budget von 5,3 Mrd. auf 4,2 Mrd. US-Dollar gekürzt sowie über Umzüge in kostengünstigere Städte und eine thematische Prioritätenverschiebung nachgedacht.

Vor diesem Hintergrund ist die voraussichtliche Zustimmung der verbleibenden Mitgliedsstaaten während der 78. WHA, ihre Pflichtbeiträge an die WHO um 20 Prozent zu erhöhen, nur ein kleiner Lichtblick. Um eine vorhersehbarere Finanzierung der WHO und flexibler einsetzbare Mittel sicherzustellen, hatten die Regierungen im Jahr 2022 eine schrittweise Erhöhung der Pflichtbeiträge auf insgesamt 50 Prozent des WHO-Budgets beschlossen. Diese Erhöhung wird die von den USA verursachte Finanzierungslücke jedoch bei weitem nicht schließen. Auch wenn die USA nicht mehr dabei sind, wird dies auch die weiteren Verhandlungen über das noch zu vereinbarende PABS-System überschatten – und damit auch die endgültige Verabschiedung des Pandemievertrages.

 

Link zum aktuellen Entwurf des Pandemieabkommens (WHO-Dokument A78/10)

Link zur 78. Weltgesundheitsversammlung